Käse, Kirchen und kein Stress

Hier wieder einmal ein Beitrag der Kategorie „Reiseführer“. Nicht ganz neu, muss man dazusagen, der „Presse“ (hier bittesehr) scheint er aber noch zu gefallen. Hier noch einmal das Original, mit etwas weniger  Auto-Verliebtheit als in der Presse.:

Käse, Kirchen, kein Stress: Eine Fahrt durchs normannische Hinterland.

Sein Herz ist aus Käse. Das mag für einen französischen Landstrich nicht ungewöhnlich sein, und doch spielt Käse im Pays de Bray eine vielleicht noch etwas wichtigere Rolle als in anderen Gegenden Frankreichs.

Lange Zeit war das Land auf halbem Weg zwischen Paris und der Küste der Normandie nämlich die Käsekammer der Hauptstadt. „Bray“ kommt vom gallischen Wort für „feuchte Erde“, und die Milch der Rinder, die auf den üppigen Wiesen weiden, wird seit eh und je zu Rahm, Butter und Käse verarbeitet und nach Paris geliefert. Um 1850 erfand hier ein Schweizer den „Petit Suisse“, einen mit Rahm verfeinerten Frischkäse, den französische Kinder, mit Kristallzucker bestreut, seither als Dessert heiß lieben. Danone produziert die cremige Spezialität noch heute im Pays de Bray, wo Käse nicht nur Arbeit bedeutet, sondern auch Identität: Die Herzform des Neufchâtel, der 1969 die begehrte Appellation d’origine contrôlée (AOC) bekommen hat, schmückt seit einigen Jahren die brayonischen Ortstafeln. Mit einer urkundlichen Erwähnung aus dem Jahr 1050 ist der Neufchâtel der älteste Käse der Normandie, heute sorgt er – AOC sei Dank – für die Erhaltung der normannischen Rinderrasse, da nur deren Milch für seine Herstellung verwendet werden darf. Das Käseherz schließt sich allerdings nur demjenigen auf, der auch ein wenig Zeit in die Beziehung investiert und gewisse Grundkenntnisse mitbringt: Zu jung genossen, ist der Neufchâtel etwas spröde und bröckelig, zu alt ist sein scharfes Aroma nicht jedermanns Sache. Mittendrin ist er ein Gedicht.

Die kitschig anmutende Herzform verweist auf die wechselvolle Geschichte des Landes, das im Lauf der Jahrhunderte nicht immer nur Weideland, sondern auch Schlachtfeld war. Im 9. Jahrhundert siedelten sich hier nach ihren blutigen Plünderungszügen die Normannen an, im hundertjährigen Krieg war das Gebiet zwischen Franzosen und Engländern heftig umkämpft. Die jungen Mädchen im Pays de Bray sollen ihre Vorliebe für die englischen Soldaten durch herzförmige Käselaibe zum Ausdruck gebracht haben. Wenn es nicht stimmt, dann ist es gut erfunden. Verwüstet wurde das Land zuletzt im Zweiten Weltkrieg, seine größeren Städte, wie Neufchâtel oder Gournay, 1940 von deutschen Bomben zerstört.

Die unversehrt gebliebenen kleineren Ortschaften mit ihren Fachwerk- und Backsteinhäusern entdeckt man am besten „au pif“, der Nase nach. Hat man das Glück, an einem Montag in der Gegend zu sein, ist ein morgendlicher Besuch auf dem Wochenmarkt von Buchy die ideale Voraussetzung für eine gelungene Landpartie: in den mittelalterlichen Markthallen am Hauptplatz bekommt man neben lebenden Hühnern, Enten und Kaninchen auch alle Zutaten für ein Picknick im Grünen zu kaufen. Natürlich auch Cidre vom Bauernhof, ohne den die Normandie nicht die Normandie wäre, und die ganze Palette normannischer Käse, vom Camembert über Livarot und Pont l’Eveque bis zum Lokalmatador Neufchâtel, in allen erdenklichen Größen und Reifegraden.

Wunderschön ist es, von Buchy per Fahrrad oder Auto in Richtung Osten zu fahren, über kleine Landstraßen die Dörfer Rouvray oder la Ferté-St. Samson anzusteuern, und sich dann weiter in Richtung Argeuil treiben zu lassen. Immer wieder muss man die Fahrt unterbrechen, alte Gehöfte aus Backstein und Fachwerk bestaunen, die eine oder andere der mit schwarzen Schieferplatten gedeckten Kirchen genauer anschauen. Aus dem Jahr 1634 stammt etwa ein gut erhaltener Fachwerkhof mit einem mächtigen gemauerten Taubenhaus bei Le Mesnil-Lieubray, imposant ist das Gut Le Randillon bei Rouvray-Catillon, romantisch das eine oder andere alte Schloss aus Backstein auf dem Weg.

Bei Somméry unweit der Thermenstadt Forges-les-Eaux liegt die Ferme de Bray, ein restaurierter Bauernhof, dessen älteste Teile aus dem 16. Jahrhundert stammen. Heute ist das Anwesen ein liebevoll gepflegtes Freilichtmuseum mit Taubenhaus, Hühnerhof, Mostpresse, eigener Mühle – und einem schönen alten Wohnhaus aus Backstein mit fünf Gästezimmern. Die Zeitreise in Leben und Landwirtschaft vergangener Jahrhunderte lässt sich hier mit ausgedehnten Spaziergängen durch eine idyllische Landschaft kombinieren, die genausogut aus einem alten Kinderbuch stammen könnte: Wiesen, durch die sich von Kopfweiden gesäumte Bäche schlängeln, Felder und Weiden, soweit das Auge reicht, in der Ferne Kirchtürme, da und dort ein Bauernhaus.

In den letzten Jahren etabliert sich ein sanfter Tourismus im alten Bauernland, das Tourismusbüro von Forges-les-Eaux versorgt Unternehmungslustige mit Broschüren, in denen Rad- und Wanderrouten eingezeichnet sind. Auch ein Weitwanderweg durchquert das Land, und passionierte Reiter zieht es nach Saint-Saëns und den weitläufigen Wald von Eawy. Wie kaum eine andere Gegend eignet sich das Pays de Bray jedoch zum ziellosen Flanieren und Ausspannen von den Pflichtprogrammen und Touristenmassen in der Hauptstadt und an der Küste: Es gibt hier kaum touristische Highlights, die man unbedingt abgeklappert haben muss, dafür zahlreiche reizvolle Ausflugsziele, die sich gleichmäßig über das hügelige Land verteilen.

Dieses endet übrigens nicht an der Grenze der Normandie, die das Land seit der Revolution teilt – zum historischen Pays de Bray zählt auch ein gutes Stück der benachbarten Picardie. Und nicht das hässlichste: Saint-Germer-de-Fly mit seiner frühgotischen Abteikirche und der hochgotischen Sainte Chapelle, sowie das malerische Dorf Gerberoy, auf einem aussichtsreichen Hügel gelegen, lohnen Abstecher; beide Orte verfügen übrigens auch über die entsprechende Infrastruktur, sollte sich kein gefüllter Picknickkorb an Bord befinden. Wie im normannischen Teil des Landes gilt es auch hier, die Route Nationale zu vermeiden und sich den kleineren Straßen anzuvertrauen. Die führen nämlich zu schönen alten Dörfern wie Hannaches, Senantes oder Goulancourt. Wer in nur eine der vielen alten schwarzen Kirchen einen Blick riskieren möchte, dem sei die von Hodenc-en-Bray ans Herz gelegt, wo ein hölzernes Gewölbe der behäbigen Steinkirche mitten im Hügelmeer den dazupassenden maritimen Charakter verleiht. Kurz vor Beauvais mit seinem weithin sichtbaren Kathedralen-Torso, der einmal zur größten Kirche der Welt hätte werden sollen, endet das Pays de Bray. Egal, ob es nun weiter nach Paris geht oder zurück an die Küste: hierher kommt man sicher wieder einmal zurück. Und sei es nur, um ordentlich Käse einzukaufen.

Tipps:

La ferme de Bray: M. et Mme Perrier, 76440 Somery. Tel. 0033 – 2 35 90 57 27. http://ferme.de.bray.free.fr. DZ 44€ incl. Frühstück

Le Vieux Logis: 25, rue du Logis du Roy, 60380 Gerberoy. Tel. 0033 3 44 82 71 66. http://www.vieuxlogisgerberoy.com. Menüs ab 21 €

Tourismusinformation Forges-les-Eaux: Rue Albet-Bochet. Tel: 00 33 2 35 90 52 10

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.