Sehe gerade, das gibts auch online: Ein Artikel mit lustigem Vorspann (ich wars nicht!) aus dem aktuellen Falter-Buch „Wien wie es isst“
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Wenn es Österreich in einem Ranking abseits der Skipiste an die Weltspitze schafft, verheißt das selten Gutes. So auch beim Fleischkonsum: Der ungesunde Platz vier unter den größten Fleischvertilgern des Planeten ist die eine, das ungebremste Aussterben der „richtigen“ Fleischhauer die andere Seite einer Medaille, die sich – statistisch betrachtet – jedeR von uns täglich umhängt und die man sich folgendermaßen vorstellen darf: 18 Deka schwer und zum überwiegenden Teil aus industriell erzeugtem Schweinernen gefertigt, oft faschiert, gern paniert.
Wir essen nach wie vor zu viel Fleisch und achten zu wenig auf dessen Qualität – so weit die schlechte Nachricht. Die gute: Die angesagteren Wiener Speisekarten sprechen längst eine ganz andere Sprache. Vokabeln wie „Mangalitza“, „dry aged“ oder „Weideochs“ sollte jeder in die Konversation einstreuen können, der nicht als gastronomischer Hinterwäldler gelten will. Sie stehen für einen Trend, wie man ihn von Wein und Schokolade kennt: Immer mehr Menschen sind bereit, für Qualität und geschmackliche Vielfalt Geld auszugeben, interessieren sich aber auch für die Bedingungen, unter denen das jeweilige Produkt hergestellt wurde. Beim Fleisch sorgten BSE, herzzerreißende Berichte aus Schlachthöfen und diverse Gift- und Gammelskandale für ein Umdenken.
„Lieber kein Fleisch als irgendein Fleisch“ lautet die neue Devise in Anlehnung an Kochlegende Eckart Witzigmann. Eine Renaissance beinahe vergessener Tierrassen und Verarbeitungsmethoden ist die Folge: Die Mangalitza-Wollschweine etwa, deren zartschmelzendes, fettdurchzogenes Fleisch allabendlich in den sündteuren Räucher- und Grillöfen gefragter Adressen wie Volksgarten-Pavillon oder Huth im Haus der Musik brutzelt, galten gerade noch als praktisch ausgestorben. Wie überhaupt die altösterreichische Schweinefleischküche, auf deren Spuren ein Fleischermeister namens Ernst Prischl die ehemaligen Kronländer bereiste, um danach das winzige, auf Geselchtes, Gesottenes und Gebratenes vom Bioschwein spezialisierte Porcus zu eröffnen. Heute stehen die Kunden Schlange vor dem Lokal, in dem auch einmal Zunge oder Rüssel auf dem Teller landen – die traditionelle Verwertung der weniger „edlen“ Teile passt gut zum zeitgemäßen Wunsch nach Nachhaltigkeit und Respekt vor dem getöteten Tier.
Über mangelnden Andrang kann auch Beinschinken-Spezialist Roman Thum nicht klagen. Er ist überzeugt davon, dass ihm noch vor wenigen Jahren kaum jemand die weißen Mangalitza-Speckwürfel abgekauft hätte, die heute in seiner zum Spezialitätengeschäft mutierten Manufaktur reißenden Absatz finden. Oder das Fleisch der schwarzen französischen Gascogne-Schweine, die bis zu ihrer Schlachtung in einem umzäunten Stück Wald in der Buckligen Welt nach Wurzeln und anderen Leckerbissen wühlen dürfen – noch mehr bio und Freiland geht nicht. Finanziell lohnen sich solche Experimente zwar kaum, so Thum, aber: „Etwas Besonderes anbieten zu können macht einfach Freude.“
Freude am fetten Fleisch – für den Gastronomen Stefan Gergely ist das überhaupt einer der kulinarischen Zukunftstrends. In seinem Steak-Restaurant im Margaretner Schlossquadrat werden in den letzten Jahren verstärkt marmoriertere Stücke wie Rib Eye nachgefragt. Ihm kommt die Rückbesinnung auf das Fett als Geschmacksträger entgegen: Vom Hype um Garmethoden wie Lavastein-, Räucher- oder Holzkohlegrill hält Gergely nicht viel. Er will in seinem Lokal die natürlichen Aromen unterschiedlicher Fleischsorten aus Argentinien, den USA und Österreich zur Geltung bringen – und dafür genügt ihm seit zwei Jahrzehnten eine heiße Herdplatte.
Weniger puristisch, dafür rauchiger geht es bei Artner am Franziskanerplatz zu, wo seit dem Sommer Christoph Brunnhuber am katalanischen Josper-Räuchergrill steht. Seine neueste Entdeckung: „Ocean Beef“, Fleisch von australischen Rindern, die in den letzten Monaten vor der Schlachtung auf leicht salzigen Weiden direkt am Pazifik grasen und sich dadurch praktisch selbst würzen. Ein zweites Schlagwort, das den Koch ins Schwärmen bringt: „dry aged“, die wochenlange Reifung großer Rinderteile am Knochen, die dem Fleisch Flüssigkeit entzieht, es mürbe macht und seinen Geschmack konzentriert – kaum ein Steakrestaurant ist noch nicht auf diesen Zug aufgesprungen.
Dabei findet man das langsam am Knochen gereifte Fleisch seit eh und je auch für den Hausgebrauch: In traditionellen Fleischereien wie Hödl in Liesing oder Ringl in Mariahilf etwa. Dort gab es noch nie etwas anderes als „dry aged Beef“, auch wenn es bisher nicht so hieß. In letzter Zeit tauchen vermehrt jüngere Kunden in den Geschäften auf, erfährt man, und sowohl Leopold Hödl als auch die Ringl-Schwestern wissen: „Wer einmal den Weg zu uns gefunden hat, der kommt wieder.“ Kein Wunder, Qualität wie hier gibt es sonst kaum wo: Das Fleisch stammt von Kleinbetrieben, die Tiere werden von der Schnauze bis zum Schwanz verarbeitet – ein Umstand, den bewusst einkaufende „moderne“ Konsumenten genauso schätzen wie seit Jahrzehnten treue Stammkunden, die sich hier die Gustostücke holen, von deren Existenz das Personal an der Supermarkt-Fleischtheke keine Ahnung hat.
In den Köpfen und Küchen ändert sich zurzeit einiges: Fleisch darf wieder fetter sein, es muss nicht mehr schamhaft unter einer Panier versteckt werden, außerdem spricht sich herum, dass Rind weder schlachtfrisch noch ganz durchgegart auf den Teller kommen sollte. Nichts illustriert diesen Umstand besser als das amerikanische Restaurant Frank’s in der Wiener Innenstadt, wo das nackte, rohe Fleisch auf die Showbühne geholt wird: In einem „Reifeschauraum“ hängen die Teile vor den Augen der Gäste ab, werden langsam dunkel und trocken – ein fantastischer Anblick. Im Schnitzelland ist die Revolution ausgebrochen.