Im Keller fischen: Paulus Hochgatterer im Porträt

Lese-Empfehlung: Paulus Hochgatterers Essay-Sammlung „Katzen, Körper, Krieg der Knöpfe. Eine Poetik der Kindheit“. Sehr anregend, nächstens vielleicht mehr dazu. Wer sich für den Autor interessiert, findet hier ein kurzes Porträt, das ich für die NZZ geschrieben habe.

Oder hier:

 

«Es kann aber immer auch alles ganz anders sein»

 

Der 1961 geborene Wiener Paulus Hochgatterer gehört nicht zu den österreichischen Autoren, die sich in gesellschaftlichen und politischen Debatten oft zu Wort melden. Hinhören sollte man trotzdem, denn seine Romane fischen tief im Trüben der österreichischen Seele.

Georg Renöckl

Fels, Wasser und Omelette – ohne diese drei Zutaten kommt kein Buch von Paulus Hochgatterer aus. In seinen Romanen und Erzählungen wird kräftig gefrühstückt, danach geklettert, gepaddelt oder gefischt. Whisky trinkende, Tom Waits hörende Männer träumen von Irland oder Schottland. Sie können seitenlang über ihre neue Tourenbindung oder kanadische Einhand-Angelruten philosophieren. Über (vorwiegend rothaarige) Frauen sowieso. Dennoch wird das Etikett «Männerliteratur» dem Phänomen Hochgatterer nicht gerecht. Zwischen all den Alpha-Männchen, bei denen jedes harmlose Gespräch zum Kampf um die Rangordnung ausartet, tummeln sich nämlich noch andere Gestalten: Jugendliche, die mit ihren Familien oder ihrer Vergangenheit nicht klarkommen, sich die Unterarme aufschneiden oder ihre Körper mit Drogen zerstören. Erwachsene, die die Welt nur ertragen, wenn sie sich mittels eingestöpseltem iPod von ihr abkapseln. Aus ihrem Beruf Gemobbte oder an ihrer Berufung Zweifelnde – und auch der Ehrgeiz scheinbar Erfolgreicher dient letztlich nur dazu, Schwächen und Verletzungen zu überdecken.

Kinder- und Jugendpsychiater

Die private Leidenschaft für Berge, Sport und Musik prägt Hochgatterers Prosa ebenso wie seine Erfahrungen als Kinder- und Jugendpsychiater. Bekannt wurde er 1997 mit der Erzählung «Wildwasser». Ein Sechzehnjähriger macht sich darin mit einem Mountainbike und einem Rucksack voller Drogen auf die Suche nach Spuren seines Vaters, der ein Jahr zuvor nicht von einer gefährlichen Paddeltour zurückgekehrt ist. Der Dealer aus «Wildwasser» taucht auch in «Caretta Caretta» (1999) wieder auf, einem berührenden Roman über einen jugendlichen Stricher, der aus der betreuten WG ausbüchst, um mit einem tödlich erkrankten Ex-Kunden ein letztes Mal auf grosse Fahrt zu gehen. «Über Raben» (2002) ist Hochgatterers konsequenteste Beschäftigung mit den Themen Bergsteigen und Pubertät: Ein alpinistisch versierter, bewaffneter Deutschlehrer verschanzt sich mitten im Hochwinter in einer Höhle in den Ennstaler Alpen, während eine seiner Schülerinnen immer grössere Mengen an Ungeziefervernichtungsmittel und Duftspray kauft. Verwesen ihre toten Eltern in der Wohnung? Vieles deutet darauf hin, zusammengeführt werden die Handlungsstränge nicht. «Es kann aber immer auch alles ganz anders sein», lautet einer der Lieblingssätze Hochgatterers, der damit Alfred Adler zitiert.

Seinen ersten Kriminalroman, «Die Süsse des Lebens» (2006), lässt der Autor in der fiktiven Kleinstadt Furth spielen, einem idealtypischen, aber nie artifiziell wirkenden österreichischen Städtchen mit See und Jachthafen, nahen Bergen, Blaskapelle, Benediktinerstift und Villenviertel samt Überwachungskameras. Dazu kommen der ganz alltägliche Wahnsinn hinter den properen Kulissen und last but not least die Schatten der Nazivergangenheit. In einem grausigen Mordfall ermittelt nicht nur Kriminalkommissar Ludwig Kovacs, auch ein Psychiater, Raffael Horn, wird hineingezogen – eine neue, stimmige Ergänzung zum üblichen einsamen Schnüffler. Reihum folgt der Erzähler dem Kommissar, dem Psychiater, einem dauerlaufenden Benediktinerpater und einem Jugendlichen namens Björn, der, als Darth Vader verkleidet, Haustieren mit einem Hammer die Schädel zertrümmert.

Die «Süsse des Lebens» wurde Hochgatterers bisher erfolgreichstes Buch. Nun erscheint ein zweiter Roman aus Furth: «Das Matratzenhaus». Ein schwarzgekleidetes Wesen terrorisiert Volksschüler, die alarmierten Eltern setzen Kommissar Kovacs gehörig unter Druck. Bald wird auch Psychiater Horn mit dem Fall betraut. Und dann stürzt noch ein junger Mann von einem Baugerüst in den Tod. Unfall, Selbstmord, Mord? Kovacs und Horn tappen in beiden Fällen im Dunkeln. Die letzten Jahre haben ihnen nicht gutgetan. Kovacs zeigt laut seiner Gelegenheitsgeliebten zunehmend «die zentralen Eigenschaften eines Ehemannes, Anhänglichkeit und Bedarfsverblödung». Horn wirkt lahmer und wehleidiger als zuletzt. Dafür hat seine Frau nun endlich den schicken Geländewagen, der ihr klischeemässig zusteht.

Im Aufbau folgt das «Matratzenhaus» seinem Vorgänger, Whodunit-Spannung kommt diesmal jedoch keine auf. Sie ist wohl auch nicht beabsichtigt: Zu vage sind die Hinweise auf ein Verbrechen, das schon vor Beginn der Handlung geschehen ist: Die Szene einer Kindesübergabe irgendwo in Indien, Andeutungen über ein Mädchen, das von der Schule abgemeldet wurde. Ornithologisch Interessierten wird vielleicht der seltene Seidenschwanz auffallen, der einmal im Roman auftaucht und in der Schweiz auch «Sterbevögeli» heisst.

Freundliche Variante der Bösartigkeit

Auf unheimliche Weise spannend ist das Buch dennoch. Die Stimmung wird mitten im schönsten Frühling immer düsterer, je mehr Kollateral-Entdeckungen Kovacs und Horn auf der Suche nach dem schwarzgewandeten Kindesmisshandler machen – im Privatleben ihrer Mitbürger und in der eigenen Vergangenheit. Wie reagieren die Further, wie sie selbst auf Situationen, denen sie nicht gewachsen sind? Behinderte werden ans Bett gefesselt, Selbstmordversuche vertuscht, und wären «Watschen» so gesund, wie der österreichische Volksmund sagt, brauchte man weit und breit keinen Arzt. Dazu kommen Fannis Berichte über ihre Erlebnisse in einem Haus im Villenviertel, in dem Kinderpornos produziert werden. Vor dem Unbeschreiblichen flieht sie in eine Phantasiewelt, in der sie zur Heldin in Quentin Tarantinos «Kill Bill» wird oder gemeinsam mit ihrer verschwundenen kleinen Schwester im Schnabel eines Pelikans davonfliegt. Happy End gibt es keines, dafür dürfte die Rache, zu der missbrauchte Kinder meist nicht fähig sind, hier ansatzweise gelungen sein.

Paulus Hochgatterer gehört nicht zu den österreichischen Autoren, die sich in gesellschaftlichen oder politischen Debatten zu Wort melden. Hinhören sollte man trotzdem, wenn der Psychiater seine fiktiven Berufskollegen über ihr Land plaudern lässt, etwa über eine auf katholischen Mustern beruhende Neigung zu Schuldzuweisungen oder die in Österreich verbreitete «freundliche Variante der Bösartigkeit» und ihre möglichen Ursachen. «Bei uns vögelt man nicht so gerne», so zitiert Horn eine seiner Ausbildnerinnen, «bei uns geht man lieber in die Kirche oder auf Elternsprechtage und hintennach macht man andere Leute fertig.» Das mag überspitzt sein, trifft aber nicht daneben. Häufig wird der Autor seit Erscheinen des «Matratzenhauses» auf den Fall Fritzl angesprochen, zu dem es im Buch Parallelen gibt. Bloss: Als der Fall bekanntwurde, war der Roman zum Grossteil bereits fertiggestellt. Einen dritten Roman aus der imaginierten österreichischen Provinz möchte Paulus Hochgatterer noch schreiben. Es gibt für den leidenschaftlichen Angler wohl noch einiges in den trüben Further Seelen zu fischen.

 

 

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