Zeit, Hopfen und Granit

Ein paar Mühlviertler Geheimtipps entlang der Donau, gesammelt für die Presse (Schaufenster) vom 13. 10. 2022.

Dass die Sonne für alle scheint, wussten schon die alten Römer. Wer ihnen nicht glaubt, muss nach Indien fahren: Am südlichsten Punkt des Subkontinents steht ein Denkmal für den Hindu-Philosophen Swami Vivekananda (1863-1902), der den Gegensatz zwischen Ost und West überwinden wollte. Eine Sonnenuhr neben dem Memorial zeigt die Tag- und Nachtgleichen sowie Mittag und Mitternacht von 70 über den Globus verteilten Orten an und macht so die weltweite Verbundenheit der Menschheit auf einen Blick sichtbar. Die ungewöhnliche Uhr besteht aus Mühlviertler Granit. „Töpferei“ steht über der Werkstatt in der kleinen Ortschaft Ohnerstorf, in der sie gefertigt wurde – Sonnenuhrmacher Gernot Krondorfer ist ursprünglich Keramiker. Das Wissen über die Bahnen der Sonne und die Neigung der Erdachse, das es braucht, damit der Stab in der Mitte der Uhr seinen Schatten stets auf die richtige Stunde wirft, hat er sich als Autodidakt angeeignet. Gnomonik heißt es seit der Antike und war einst ein Teilbereich der Architektur. Besonders gern arbeitet der Selfmade-Gnomoniker mit unebenen Granitblöcken, wie man sie in der Umgebung überall findet, er interessiert sich aber auch für andere Steine: Um die Jahrtausendwende wurde im nahen Niederkappel ein kostbares Jadebeil aus der Jungsteinzeit gefunden, eine 5000 Jahre alte Keramikschüssel, sowie weitere Beile aus Sillimanit, einem Gestein, das sonst nur in der Bretagne vorkommt. Die Funde vom Mühlviertler Donauufer, die interessante Rückschlüsse auf Migration und Fernhandel vor Jahrtausenden erlauben, hat der Sonnenuhrmacher in einem sehenswerten kleinen Museum zusammengestellt und aufbereitet.

Das nahe der Schlögener Schlinge gelegene Niederkappel ist nicht nur uralter Siedlungsraum, sondern auch für die jüngere Geschichte unseres Landes ein wichtiger Ort: Hier wurde Rudolf Kirchschläger geboren, eine der herausragenden Persönlichkeiten der Zweiten Republik. Bei der Pfarrkirche, wegen ihrer Dimensionen auch „Dom des Mühlviertels“ genannt, beginnt ein Wanderweg, dessen dreizehn Stationen das Leben Rudolf Kirchschlägers nachzeichnen und heutige Wanderer durch Zitate zum Nachdenken bringen. Vorbei an grandiosen Aussichtspunkten über die Schlögener Schlinge führt die Route bis ans Ufer des Stroms bei Obermühl, wo das Geburtshaus des späteren Bundespräsidenten stand. Das Ortsbild hat sich seither radikal verändert: Als in den frühen 1960er Jahren die Donau durch den Bau des Kraftwerks Aschach rückgestaut wurde, ging ein Teil des Ortes verloren – so wie andere Dörfer, die damals abgesiedelt wurden. Etwa das für seine Zillenbauer weithin bekannte Freizell, nur wenige Kilometer stromaufwärts. In den gezähmten Wogen des einst gefürchteten Stroms versank mit den Häusern der Zillenbauer auch ihre Lebensweise: Als „Schlögenfahrer“ gingen die Männer einst einige Kilometer vor dem engen Durchbruchstal zwischen Sauwald und Mühlviertel an Bord der Schiffe, die sie durch die Stromschnellen der Schlögener Schlinge lotsten. Nach überstandener Fahrt verkauften sie ihre Zillen als Rettungsboote.

Nur noch zwei von einst dutzenden Zillenbauern gehen heute noch im wiedererrichteten Freizell dem Beruf ihrer Vorfahren nach. Ihr Handwerk steht vielleicht nicht auf goldenem, doch auf sehr solidem Boden: Sein Vater hat vor der Flutung des alten Dorfes den Werkstattboden demontiert und im neu errichteten Haus wieder verlegt, erzählt Gerald Witti, der den Betrieb in neunter Generation führt und einen kleinen Hafen zur Werkstatt zugebaut hat. So können künftige Kunden, die oft auch vom Neckar oder vom Bodensee ins Mühlviertel kommen, Probefahrten unternehmen und Tagestouristen mit dem Boot einen der verlockenden Sandstrände der Umgebung ansteuern. Aus der Perspektive des Freizeitkapitäns ist es kaum zu glauben, dass die heute so träge vor sich hinstauende Donau früher einmal als überaus gefährlich galt.

Das lag nicht nur an den Stromschnellen, sondern auch an den Raubrittern, die einst die Handelsschiffer terrorisierten. Genießt man die Aussicht vom frei zugänglichen Turm der Ruine Haichenbach inmitten der Schlögener Schlinge, versteht man durchaus, dass die Burgherren auf dumme Gedanken kommen konnten. Im 16. Jahrhundert setzte der bayrische Herzog Ernst dem räuberischen Treiben ein Ende und machte kurzen Prozess mit Othmar von Haichenbach. Der Raubritter fuhr zur Hölle, wo er jetzt in Gold baden darf – allerdings in siedendem.

Eine zweite Legende rankt sich um den auf Abwege geratenen Ritter: Von einer Reise an den Rhein hatte er eine wunderschöne Frau mitgebracht, mit der er auf der nahen Burg Falkenstein hoch über dem Rannatal lebte. Bei Vollmond wollte die geheimnisvolle Schöne stets ungestört bleiben und zog sich in den Wasserturm der Burg zurück. Othmar nahm es jedoch mit Gesetzen bekanntlich nicht so genau und spionierte ihr nach. Das letzte, was er von seiner Frau sah, war ihr schuppiger Schwanz – er hatte die Nixe Lilofee geheiratet, die er durch seinen Verrat für immer verlor.

Heute gehört der schuppige Schwanz einer Smaragdeidechse, den man mit etwas Glück erblicken kann, zu den Highlights einer Wanderung durchs Rannatal. Dessen Ruhe wird nur gelegentlich von Freiwilligen gestört, die die Reste der eingestürzten Ruine Falkenstein vor dem endgültigen Verfall bewahren. Immerhin steht Lilofees Wasserturm noch aufrecht und kann jederzeit besichtigt werden. Kaum zu glauben, dass sich in diesem völlig verlassenen Tal einmal das Machtzentrum des Mühlviertels befand: Die Burgherren kolonisierten das Gebiet und gründeten Orte wie die heutige Bezirkshauptstadt Rohrbach. Zawisch von Falkenstein war ein bedeutender Widersacher Ottokar Přemysls und wurde von Franz Grillparzer in „König Ottokars Glück und Ende“ verewigt – als Liebhaber Kunigundes, der Frau des Böhmenkönigs. Nach Zawischs Tod eroberten die Habsburger seine Burg.

An die Oberhaimer und Falkensteiner erinnern heute nur noch Ruinen aus Granitgestein, doch wahrscheinlich haben die alten Rittersleut‘ bereits das Hofstettner Bier getrunken, das nur ein kleines Stück stromabwärts seit mindestens 1449 gebraut wird. Damals wurde ein Brauwirtshaus, bei dem die Salzhändler auf ihrem Weg nach Böhmen gern Rast machten, erstmals urkundlich erwähnt. Die Hofstettner Brauerei ist damit die älteste Österreichs. 550 Jahre nach ihrem offiziellen Gründungsdatum erhielt ihr heutiger Eigentümer Peter Krammer, der das traditionsreiche Haus gerade von seinem Vater übernommen hatte, einen schwierigen Auftrag. Er sollte zur Eröffnung der benachbarten Granit-Erlebniswelt in Plöcking ein „Granitbier“ brauen. Das Problem: So könnte man im Mühlviertel eigentlich jedes Bier nennen. Der junge Brauherr fand heraus, dass die Steinbrecher früher dunkle Biere mit rauchiger Note getrunken haben, da das Malz am offenen Feuer gedarrt wurde. Er braute ein bernsteinfarbenes Bier mit geröstetem Malz, das den nach „Schüttbier“ verlangenden Stammkunden allerdings viel zu kräftig schmeckte. Doch Krammer hatte Feuer gefangen. Als nächstes ließ er Starkbier im Granitbottich gären und tauchte Granitbrocken, die im offenen Feuer zum Glühen gebracht worden waren, in den Sud – der besonders runde, karamellig-rauchige Granitbock war erfunden. Die Mischung aus glühender Begeisterung und granitener Sturheit machte sich bezahlt: Zwanzig Jahre nach seiner Erfindung ist das einst geschmähte Granitbier heute das meistverkaufte der Brauerei. Der Granitbock wurde von Gault&Millau zum Bier des Jahres 2021 auserkoren.

Ein Besuch in der nahen Granitwelt muss jetzt freilich auch noch sein. Deren Name ist Programm: Tropical Violet aus Brasilien, Himalaya Blue aus Indien oder South-Dakota Mahogany sind nämlich keine exquisiten Tee- oder Spirituosensorten, sondern Namen, die der vermeintlich vertraute Granit anderswo trägt. Selbst heimische Gesteine wie der so bodenständig klingende Weinsberger Granit gewinnen an Aura, liest man ihre Entstehungsgeschichte, die auch den ersten Seiten eines Fantasy-Romans entnommen sein könnte: Als Rodinia zerfiel, kollidierten Gondwana und Laurussia… Es sind damit jedoch keine Barbarenkönigreiche gemeint, sondern Superkontinente. Ein riesiges Hochgebirge faltete sich auf, das 100 Millionen Jahre später zu den vertrauten Mühlviertler Hügeln abgeschliffen war, zumindest vorläufig: Die Zeit vergeht für Steine nicht chronologisch, sondern zyklisch. Wie das Wasser hängt auch das Gestein unseres Planeten in einem riesigen Kreislauf zusammen, nur dauert ein Durchlauf etwas länger, etwa 200 Millionen Jahre.

Am stilvollsten beschließt man den Tag zwischen Strom und Granit in der wildromantischen Resilacke, einem zum Badesee gewordenen Granitsteinbruch mitten im Wald. Ein Granitbier im Picknickkorb dabei zu haben, kann nicht schaden, doch auch so kommen die Gedanken bei einer gemächlichen Reise durchs Mühlviertel garantiert ins Fließen.

Informationen/Kasten

  • Alles Wissenswerte zum Donauradweg unter donauregion.at, muehlviertel.at oder oberoesterreich.at
  • Sonnenuhrmacher und Steinzeitmuseum: Gernot Krondorfer, Ohnerstorf 11, 4152 Sarleinsbach. Tel.: 07283/8605
  • Dr.-Rudolf-Kirchschläger-Steig in Niederkappel: https://www.donauregion.at/oesterreich-tour/detail/430001431/dr-rudolf-kirchschlaeger-steig.html, Kontakt zum Dr. Rudolf-Kirschläger-Gedenkzentrum in Niederkappel unter 0680 1192197 (Josef Eibl)
  • Zillenbau und -verleih Witti: Freizell 4, 4085 Wesenufer. Tel.: 0664/4124504, www.witti.co.at
  • Ruine Haichenbach: Dorf 12, 4133 Hofkirchen im Mühlkreis. Wegweiser führen von Dorf zum Parkplatz nahe der Ruine. Lohnende Alternative per Rad: Mit der Radfähre Au an den Fuß des Felsens, auf dem die Burg steht. Anstieg etwa 40 Minuten, zuvor ist eine Einkehr in der Jausenstation Pumberger (beider Radfähre) zu empfehlen.
  • Rannatal und Ruine Falkenstein: 4142 Hofkirchen im Mühlkreis. Wanderung von der Donau das Tal der Ranna hinauf ab Rannamühl (Wegweiser). Oder ab Hofkirchen die Falkensteinstraße Richtung Altenhof nehmen, bei einem verlassenen Bauernhof an der linken Straßenseite ist ein kleiner Parkplatz, dort den gelben Wegweisern das Tal hinunter folgen.
  • Brauerei Hofstetten: Adsdorf 5, 4113 St. Martin im Mühlkreis. www.hofstetten.at. Informationen zu Führungen: 07232/22040
  • Erlebniswelt Granit: Plöcking 2, 4114 Plöcking. www.erlebniswelt-granit.at
  • Resilacke: im Ortsteil Alkoven, südöstlich von Kleinzell gelegen. Per Fußweg von Kleinzell oder über die Straße Alkoven zu erreichen.

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