Wieder einmal mit dem Fahrrad durch Paris – diesmal für die Presse
Paris: Nicht by Night, sondern per Bike
Alle hundert Jahre einmal wird Paris gründlich umgekrempelt. Im 19. Jahrhundert ließ Baron Georges Eugène Haussmann einem Barockgärtner gleich Sichtachsen und prachtvolle Avenuen durch das wild wuchernde urbane Dickicht schlägern, die nicht nur für ästhetischen Genuss, sondern auch für eine bessere Durchlüftung der Stadt sorgen sollten. Im 20. Jahrhundert träumte Georges Pompidou – wie viele Politiker seiner Zeit – von einer autogerechten Hauptstadt und einem dichten Netz von Stadtautobahnen. Die später nach ihm benannte Schnellstraße am Seine-Ufer weihte er 1967 persönlich am Steuer seines Porsche ein.
Auch im noch jungen 21. Jahrhundert deutet eine große Staubwolke über der französischen Hauptstadt auf bedeutende Veränderungen hin. „Das Paris des 21. Jahrhunderts wird ganz anders aussehen als das Paris des 20. Jahrhunderts“, kommentiert Christophe Najdovski, für Verkehrsangelegenheiten zuständiger Vizebürgermeister, die derzeit überall in der Stadt laufenden Umbauarbeiten. Ähnlich wie Baron Haussmann, der das alte Paris von seinen schädlichen Dünsten befreien wollte, geht es der Bürgermeisterin, Anne Hidalgo, um die Pariser Luft: Feinstaub und Stickoxide machen das Atmen an zu vielen Tagen im Jahr zum Gesundheitsrisiko, dazu kommen immer mehr Hitzetage.
Atmen ist Programm
„Ich kann handeln. Ich handle. Und die erste der großen Herausforderungen für die Stadt Paris, diejenige, die sich auf alle anderen auswirkt, ist der Klimawandel“, stellt Hidalgo in ihrem 2018 erschienenen Buch mit dem schlichten Titel „Respirer“ („Atmen“) klar. Ihr Projekt: Paris muss zur Fahrradmetropole werden, das Stadtklima soll sich durch großzügige Begrünungsmaßnahmen nachhaltig zum Besseren verändern.
Wer derzeit nach Paris fährt, sieht eine Stadt im Wandel: Vormalige Asphaltwüsten wie der Place de la Nation oder der Place de la Bastille werden zu Parks umgestaltet, ein Netz von schnellen und vor allem breiten Radverbindungen ist im Entstehen. „REVe“ („Traum“) lautet das Akronym für das „Réseau Express vélo“, ein zentrales Element der Pariser Fahrradstrategie. 150 Millionen Euro investiert die seit 2014 amtierende Bürgermeisterin in das Projekt, mit dem sie den Anteil der Radfahrer am Verkehrsgeschehen von mageren vier auf immerhin 15 Prozent steigern will.
Im vorletzten Jahr des ehrgeizigen Programms ist man zwar immer noch weit von den selbst gesteckten Zielen entfernt, doch selbst die notorisch unzufriedene Radfahrerlobby „Paris en selle“ zeigt sich ziemlich positiv gestimmt: „Es gibt jetzt ein echtes politisches Engagement, sowohl im Dialog mit den Benützern als auch seitens der Bürgermeisterin, die höchstpersönlich Radwege einweiht. Das war vor einigen Jahren noch unvorstellbar“, erklärt Simon Labouret, Sprecher von „Paris en selle“.
Ein Drittel Radler zur Stoßzeit
Einzuweihen gibt es genug: Stück für Stück wird die neue Pariser West-Ost-Achse fertiggebaut, im Modal-Split macht sich das schon bemerkbar: Ein Drittel des Verkehrsaufkommens an der Rue de Rivoli zur Stoßzeit entfalle seit Neuestem auf die Radfahrer, freut sich Najdovski auf Twitter über die aktuellen Verkehrszahlen. Hidalgos grüner Stellvertreter ist auch Präsident der European Cyclists‘ Federation. Nicht nur in den sozialen Medien verbreitet er positive Stimmung fürs Radfahren. „In wenigen Tagen ist hier ihr neuer Radweg – ein bisschen Geduld noch, bis wir fertig sind!“ steht unübersehbar an allen Absperrungen, hinter denen an Radwegen gearbeitet wird – so wird Vorfreude in Szene gesetzt.
Kreisverkehr, zwölfspurig
Nur im vornehmen Westen der Stadt scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Der Place Charles de Gaulle ist nach wie vor ein riesiger Kreisverkehr, wenn auch dank des Triumphbogens ein besonders schöner. Nur Fahrradboten und andere klassische Kampfradler wagen sich unmotorisiert auf die von keinerlei Bodenmarkierungen unterteilte Pflasterfläche, in die zwölf Verkehrsadern münden.
Doch selbst hier nimmt Hidalgos neues Paris bereits spürbar Gestalt an. An den Rändern der besonders breiten Boulevards des Pariser Westens mehren sich neuerdings wieder die „Vélib’“-Leihrad-Stationen – die Krise, in die das dereinst weltbeste Leihradsystem geschlittert ist, scheint langsam, aber sicher überwunden. Mit 13.000 Stück sind zwar nur etwas mehr als die Hälfte der Fahrräder von damals im Umlauf, doch aus Sicht der Touristen ist auch das ausgedünnte Pariser Netz besser als die meisten, die man aus anderen europäischen Städten kennt. Günstig ist es freilich nicht: Fünf Euro kostet das 24-Stunden-Abo, 15 Euro ein Pass für sieben Tage. Das Ausleihen selbst ist gratis, wenn man sein Rad innerhalb einer halben Stunde zurückgibt und auf E-Bikes verzichtet – die kosten einen Euro pro dreißig Minuten. Die Investition lohnt sich vor allem bei längeren Strecken oder zähen Anstiegen durchaus.
Abgetrennte Radwege
Fährt man vom Triumphbogen Richtung Zentrum, kann man gut auf den Luxus des E-Antriebs verzichten: Es geht gemächlich bergab. Links und rechts der chronisch verstopften acht (!) Fahrspuren der Champs-?lysées verbinden nagelneue, von der Fahrbahn baulich getrennte Radwege den Westen mit dem Zentrum der Stadt. Entspannt rollt man auf der unter der Regentschaft von Ludwig XIV. angelegten zentralen Pariser Achse vom Triumphbogen in Richtung Louvre, vorbei an der hupenden Kolonne von täglich 64.000 Autos. Ein königliches Vergnügen, das erst am Place de la Concorde, wo einst Ludwig XVI. hingerichtet wurde, angesichts des anarchisch wirkenden Kfz-Verkehrs einem etwas mulmigen Gefühl weicht.
Auch dieser größte Platz von Paris wird radfahrgerecht, bis dahin empfiehlt es sich, kurz abzusteigen und das Vélib‘ im Fußgängerstrom mitzuschieben. Dafür kann man dann den Kontrast zwischen dem autogerechten Platz und der Pariser Vision einer verkehrsberuhigten Zukunft binnen weniger Augenblicke hautnah erleben: Rechts vom Eingang in den Tuileriengarten versperren zwei bunt besprayte Betonblöcke eine Fahrspur – jedenfalls für Autos.
Von Radfahrern kann die Sperre, die in einen Tunnel führt, bequem passiert werden. Man sollte sich die ungewöhnliche Route keinesfalls entgehen lassen: Am Ende dieses rund 400 Meter langen Tunnels kommen auf einen Schlag die Seine, die Türme der Conciergerie, die Sainte Chapelle sowie die Pont Neuf ins Bild – ein großartiger Moment. Bis vor Kurzem war dieser den Autofahrern vorbehalten: Es handelt sich um Georges Pompidous ehemalige Porsche-Strecke, auf der heute vor allem Kinder auf Rollern über den Asphalt flitzen.
Grüner bis 2024
Dass Anne Hidalgos großer Pariser Paradigmenwechsel in vollem Gang ist, zeigt auch ein im Frühjahr präsentierter Vorschlag der Kaufleute der Champs-?lysées. Auch sie wollen nun ihre Straße radikal umgestaltet haben, und das möglichst noch vor den Olympischen Spielen 2024. Vier der derzeit acht Fahrspuren sollen weichen, um den Bewohnern und Besuchern mehr Platz zum Flanieren und Radfahren freizumachen. Geplant ist auch die Neugestaltung des Place Charles de Gaulle rund um den Triumphbogen: Die Verkehrshölle wird in einen Gemeinschaftsgarten verwandelt, und im Winter dürfen dann Eisläufer friedlich ihre Runden drehen.
Paris für radler
Leihradnetz: www.velib-metropole.fr
Tourenvorschläge: Das Tourismusbüro schlägt vier lohnende Radtouren vor, problemlos in Eigenregie absolvierbar: www.de.parisinfo.com
Geführte Radtouren/Radverleihe:
www.bikeabouttours.com,
www.parisbiketour.net, www.france-tourisme.fr, www.getyourguide.fr
Radfreundliche Quartiere:
Hôtel Trianon Rive Gauche, www.hoteltrianonrivegauche.com
Solar Hotel, www.solarhotel.fr
Auberge Adveniat, www.adveniat-paris.orgInfos: Atout France, www.at.france.fr