Der Staat war Er.

Johannes Willms‘ Charles de Gaulle-Biografie, besprochen im Falter-Bücherherbst: 

Rezension aus FALTER 41/2019

Der General

Frankreich, das ist sein Präsident

Biografie: Johannes Willms’ Biografie von Charles de Gaulle hilft auch, Emmanuel Macron zu verstehen

Er ist von überlegenem Intellekt und ein glänzender Redner. Er liebt das geschliffene Wort und die gedrechselte Phrase, Hauptwerke des nationalen Klassiker-Kanons zitiert er seitenweise aus dem Gedächtnis. Bis in die Zehenspitzen ist er von der historischen Mission und der naturgegebenen Grandeur seines Landes durchdrungen, das er vor allem aus Schule und Literatur kennt. Besonders volksnah ist er, der seit seiner frühen Kindheit eine Kaderschmiede nach der anderen durchlaufen hat, nämlich nicht. Einige wichtige Jahre seines Lebens hat er in London zugebracht, ohne dadurch besonders anglophil zu werden. Sein öffentliches Bild wird von einem mit allen Wassern gewaschenen Team stets auf Hochglanz poliert. Alternative facts versteht er ohne mit der Wimper zu zucken unters Volk zu bringen. Traditionelle Parteien verachtet er, weswegen er eine auf seine Person maßgeschneiderte Wahlbewegung gegründet hat. Sein Amtsverständnis: Der Staat bin ich.

Die Rede ist von Charles de Gaulle. Und natürlich auch von Emmanuel Macron. Die vielen Parallelen zwischen dem Gründer der Fünften Französischen Republik und ihrem achten Präsidenten sind augenfällig und werden von Letzterem bewusst in Erinnerung gerufen: Auf dem offiziellen Foto des Präsidenten, das in allen öffentlichen Gebäuden Frankreichs hängt, liegt ein aufgeschlagenes Exemplar von Charles de Gaulles „Mémoires de Guerre“ (Kriegserinnerungen) auf dem Schreibtisch, vor dem Macron stehend posiert. Man kann dem bisher jüngsten französischen Präsidenten also getrost eine gewisse Faszination für den alten General unterstellen, als dessen potenzieller Erbe er sich bereits früh positionierte: Während des Wahlkampfs prägte er im Herbst 2016 das – seither hartnäckig an ihm haftende – Adjektiv „jupiterisch“, dem ein französischer Präsident entsprechen müsse.

Er wollte damit vor allem seine Vorgänger kritisieren, den hyperaktiven Nicolas Sarkozy wie den langweiligen François Hollande, zeigte damit aber auch, dass er eine der zentralen Lektionen des Generals verinnerlicht hat: Wer an der Spitze Frankreichs steht, reiht sich in die Geschichte großer Figuren ein wie Jeanne d’Arc, Danton oder Napoleon. Der Präsident verkörpert demnach die Geschichte und Gegenwart Frankreichs – oder kurz gesagt: Er ist Frankreich.

Nichts anderes versuchte de Gaulle im Exil sowohl Churchill als auch Roosevelt unermüdlich klar zu machen: Auch wenn er eigentlich nur ein abtrünniger General war, der sich ins Ausland abgesetzt hatte, war es für ihn von zentraler Bedeutung, von den Alliierten als einziger oberster Vertreter Frankreichs anerkannt zu werden. Nur so konnte eine historische Kontinuität als gewahrt gelten, die es erlauben würde, die Kapitulation von 1940 zur verlorenen Schlacht in einem Krieg umzudeuten, aus dem Frankreich nicht nur befreit, sondern als den übrigen Alliierten ebenbürtiger Sieger hervorgehen konnte. „Wir sind Frankreich“, das stand für Charles de Gaulle nach seiner berühmten Radioansprache vom 18. Juni 1940 ein für alle Mal fest.

Wir sind damit schon mitten drin in der über 600 Seiten starken Biografie des Generals, die der Historiker und Publizist Johannes Willms pünktlich zum 50. Jahrestag von de Gaulles holprigem Abschied von der Spitze der französischen Republik vorlegt. De Gaulle hatte 1969 ein Referendum über eine Regionalreform mit seinem eigenen politischen Schicksal verknüpft und scheiterte prompt, doch nach wie vor hält eine überwältigende Mehrheit der Franzosen den Gründer der Fünften Republik für die wichtigste Gestalt ihrer Geschichte.

Willms’ so umfangreiche wie glänzend geschriebene Biografie erlaubt nun, die ungebrochene Faszination für den 1970 verstorbenen General besser zu verstehen, und das auf mehreren Ebenen: Aus der schrittweisen, ausführlich mit Quellenangaben versehenen Schilderung der wichtigsten Etappen von de Gaulles Lebensweg geht einerseits die unzweifelhafte historische Bedeutung des Mannes hervor, der die Ehre seines Landes so gut wie im Alleingang gerettet, Frankreich 1958 eine neue Verfassung gegeben und es zehn Jahre lang als Präsident durch die heikle Phase der Dekolonialisierung geführt hat. Zum anderen ist Willms’ Buch alles andere als eine Hagiografie: Immer wieder stellt der Autor die historischen Fakten den Reden de Gaulles sowie seinen Lebenserinnerungen gegenüber, die er auch als „gaullistische Paraphrase des Lukasevangeliums“ bezeichnet, mit Charles de Gaulle in der Rolle des Jesus von Nazareth.

Indem er de Gaulles Methoden offenlegt, dekonstruiert Willms den Mythos, an dem dieser zeit seines Lebens mindestens so intensiv arbeitete wie an Frankreichs Grandeur, von der er geradezu besessen war. Im Lauf der – bei aller Eleganz von Willms’ Sätzen auch fordernden – Lektüre entsteht so das differenzierte Bild einer Persönlichkeit, die sich Einordnungsversuchen entzieht. Seine Brillanz ließ den jungen de Gaulle früh aus dem Offizierscorps hervorstechen, doch seine Arroganz machte ihn zum verhassten Außenseiter. Er wurde von Philippe Pétain als „intelligentester Offizier Frankreichs“ geschätzt, brach jedoch mit dem alternden Marschall, als es ihm nützlich war. Er war ein scharfsichtiger Analytiker, der angesichts des deutschen Blitzkriegs vergeblich versuchte, den französischen Generalstab von dessen Defensivdoktrin abzubringen.

Früher als alle anderen begriff er: „Der Konflikt, der ausgebrochen ist, könnte gut der größte, der komplexeste wie auch der gewalttätigste von allen sein, die bislang die Erde heimsuchten. Die politische, wirtschaftliche, soziale und moralische Krise, die ihn auslöste, enthüllt eine derartige Tiefe und kündet von einem allumfassenden Charakter, die fatalerweise den vollständigen Umsturz im Zustand der Völker wie der Staaten zur Folge haben wird.“

Bei aller Luzidität agierte er an der Front jedoch glücklos, was ihn nach dem Rückzug vor den deutschen Panzern nicht daran hinderte, über seinen Erfolg zu schwadronieren. Er ging Churchill unendlich auf die Nerven, nötigte ihm aber doch Respekt ab. Er galt als Retter der Demokratie, verachtete aber das Parlament und hielt wenig von Pressefreiheit. Er ließ sich von mit Putsch drohenden Offizieren an die Macht zurückholen und löste dann das französische Kolonialreich auf, als dessen Retter er angetreten war. Bei einer Rede, die er 1927 im Auftrag Pétains hielt, sagte de Gaulle: „Die Essenz des Prestiges ist der Eindruck, den der Chef dank seines außerordentlichen Charakters hervorruft, der daher rührt, dass seine Person etwas nicht Fassbares, ein Mysterium darstellt, das ihm wesenseigentümlich ist.“ Gut möglich, dass er damals bereits von sich selbst gesprochen hat.

Georg Renöckl in FALTER 41/2019 vom 11.10.2019 (S. 40)

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