Kürze schützt vor Länge nicht

Zwei kurze Romane zum Ersten Weltkrieg: „14“ von Jean Echenoz, „Der Kaiser schickt Soldaten aus“ von Janko Ferk.

Hier im Falter besprochen:

Rezension aus FALTER 11/14

Kürze schützt vor Längen nicht

Zwei kurze Romane über den Ersten Weltkrieg, einmal aus der Frosch-, einmal aus Doppeladler-Perspektive

Frankreich braucht kein Gedenkjahr, um sich an den Ersten Weltkrieg zu erinnern. Nirgendwo sonst ist „la Grande Guerre” ähnlich prominent im kollektiven Gedächtnis verankert, jährliche Siegesparade auf den Champs-Elysées am 11. November und detailreicher Geschichtsunterricht bereits in der Volksschule inklusive.
Gar nicht so verwunderlich, hält man sich die Namen der blutigsten Schlachten des Krieges vor Augen: Chemin des Dames, Somme, Verdun – es sind vor allem französische Dörfer und Landstriche, in denen heute endlose Gräberfelder besichtigt werden können. Der „Große Krieg” war und ist in Frankreich für Generationen von Historikern, Politikern, Journalisten und Künstlern ein Dauerbrenner.

„All das ist schon tausendfach beschrieben worden, vielleicht lohnt es sich gar nicht weiter, sich bei dieser stumpfsinnigen, stinkenden Oper aufzuhalten”, bemerkt folgerichtig der Erzähler in Jean Echenoz’ Weltkriegsroman „14” angesichts des alltäglichen Grauens in den Schützengräben. „Vielleicht ist es übrigens nicht einmal sehr nützlich oder treffend, den Krieg mit einer Oper zu vergleichen, schon gar nicht, wenn man kein besonderer Freund der Oper ist, obgleich der Krieg wie sie gewaltig ist, atemraubend, exzessiv, voller quälender Längen, wie sie furchtbar viel Lärm macht und auf die Dauer meist auch ziemlich langweilig ist.”
Der so formulierte Widerwille, den Krieg zu beschreiben, hält den Erzähler freilich nicht davon ab, selbst das eine oder andere Kabinettsstück an Beschreibungskunst zu liefern, beispielsweise die verheerenden Folgen eines deutschen Granatentreffers in einem französischen Unterstand, die er seinen Lesern in aller anschaulichen Grausigkeit vor Augen führt.
Doch geht es auf den 120 Seiten, die Echenoz für den Weltkrieg übrig hat – womit für quälende Längen kein Platz ist – tatsächlich weniger um das Gemetzel an und für sich. In wenigen Strichen und exemplarischen Episoden, inspiriert durch authentische Korrespondenzen von Kriegsteilnehmern, zeichnet Echenoz die Schicksale von fünf Männern und einer Frau nach, die aus ihren beschaulichen Existenzen in den Strudel der Ereignisse gerissen werden.
Konsterniert registriert Anthime, die Hauptfigur, dass die erwartete Generalmobilmachung ausgerechnet auf einen Samstag fällt: „Er reagierte nicht sofort, sondern lauschte fast eine Minute lang den feierlich dröhnenden Glocken, richtete dann sein Gefährt wieder auf und setzte den Fuß aufs Pedal, um den Hang hinabzurollen und den Weg nach Hause einzuschlagen. (…) Als er in die Stadt kam, sah Anthime, wie immer mehr Leute ihre Häuser verließen, sich zu Trupps versammelten und dann in Richtung Place Royale losgingen.”
Noch ist die Welt nicht aus den Fugen. Es folgen Musterung, Gewaltmärsche, erste Scharmützel, das Leben im Schützengraben, und bald schon ist ein abgerissener Arm kein schreckliches Schicksal mehr, sondern ein Glücksfall, um den man beneidet wird.
Von den fünf eingerückten Männern kommen drei überhaupt nicht zurück, zwei verstümmelt. Auch von der zarten, von Blicken und Andeutungen lebenden Romantik, die sich vor dem Krieg zwischen Anthime und der schwangeren Verlobten seines Bruders Charles entsponnen hat, bleibt nichts übrig, das über den rohen Satz „Dann penetrierte und befruchtete” er sie hinausgehen könnte.
Charles’ Kind hat seinen Vater ohnehin noch vor der Geburt verloren. Aus der Perspektive derjenigen, die ihn am eigenen Leib miterlebten, zeigt Echenoz nichts weniger als den Untergang des alten Europa. Er macht das in konzentrierter und doch federleichter, von jedem Ballast befreiter Prosa, die dem Leser viel Raum lässt, ohne beliebig zu sein.
Mit der unmittelbaren Vorgeschichte der 1914 losgetretenen Katastrophe beschäftigt sich der Kärntner Autor und Literaturwissenschaftler Janko Ferk, im Unterschied zu Echenoz aber nicht aus dem Blickwinkel des gemeinen Volkes. In seinem ebenfalls nicht sehr dicken, als „Sarajevo-Roman” beworbenen Buch „Der Kaiser schickt Soldaten aus” erzählt er die sich fatal kreuzenden Lebensgeschichten des Thronfolgers Franz Ferdinand und seines Mörders Gavrilo Princip entlang ausgewählter Daten.
Diese Vorgangsweise ist auch bei Krimiautoren und Historikern beliebt. Leider hat Ferks Buch aber weder die Spannung eines Krimis – was bei einem so hinlänglich bekannten Plot auch wirklich eine Meisterleistung bedeutet hätte –, noch dürfte es historisch Interessierte zufriedenstellen. Allzu willkürlich gewählt und gewichtet wirken die von Ferk präsentierten Ereignisse.

Der Erzähler, der den „Roman” in erster Linie als Vehikel für historisch-essayistische Betrachtungen nützt, interessiert sich vor allem für die Strenge der habsburgischen Hausregeln und die Inkompetenz österreichisch-ungarischer Spitzenbeamter, verabsäumt es dabei aber, den historischen Figuren die Tiefe und Eigenständigkeit zu verleihen, die sie überhaupt erst zu Romanfiguren machen würde.
Es entsteht vielmehr der Eindruck, der Autor habe auf bekannte Fotos aus dem habsburgischen Familienalbum ein paar Sprech- und Denkblasen geklebt. Nach einer Aussprache mit seinem Neffen, der nicht standesgemäß heiraten will, „neigte der Kaiser seinen Kopf, trat an seinen Schreibtisch, an dem er den Großteil seines Lebens verbracht hatte, stützte sich mit der rechten Hand leicht ab und überließ sich seinen Gedanken. ‚Diesem verliebten Heißsporn fehlt jedes Verantwortungsgefühl. Das Erzhaus bedeutet ihm wohl nichts. Eine Ausnahme vom Familienstatut kommt nicht in Frage.‘” Und so weiter.
Nach einem Scherz des inzwischen doch noch verheirateten Franz Ferdinand über ein mögliches Attentat in Bosnien lässt der Erzähler seine Frau Sophie, „die seine Ansage nicht spaßig fand”, mit dem Satz „Franzi, bitte, mach’ mit solchen Sachen keine Witze! Gott behüte dich!”, antworten.

Die Erzählerpassagen wirken wie Materialschlachten. Jahreszahlen, und von denen gibt es viele, werden stets ausgeschrieben, Adelige mit all ihren Vornamen in eine Geschichte eingeführt, in der die abgegriffene Metapher vom Pulverfass Balkan und dem Flächenbrand Europas als ziemlich verschlissener roter Faden herhalten muss.
Den Eindruck, das alles in irgendeiner Form schon einmal gelesen zu haben, verstärkt der Hang des Erzählers, ihm offenbar wichtige Aussagen mehrfach zu wiederholen: „Es ist und bleibt auf dieser Welt so, dass Fanatismus und blinder Hass Kenntnisse und Bildung nicht ersetzen. Nicht ersetzen können. Nie ersetzen werden.” Hat das eigentlich irgendjemand behauptet?

Georg Renöckl in FALTER 11/14 vom 12.03.2014 (S. 8)

Weiters in dieser Rezension besprochen:

Kaiser schickt Soldaten aus (Janko Ferk)

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