Die Magie vermasselter Momente

Christoph W. Bauers lesenswerte Erzählungen, besprochen für die NZZ:

 

Christoph W. Bauers Geschichten vom Scheitern

Die Magie vermasselter Momente

Georg Renöckl Freitag, 9. Mai 2014, 14:48

Oft sind es scheinbar unspektakuläre Augenblicke, die ein ganzes Leben verändern: Da gelingt es dem zwänglerischen, bis ins Innerste verknöchterten Museumswärter Lunz einmal nicht, einen gefundenen 5-Euro-Schein zurückzugeben. Ratlos steckt er ihn ein und gerät in Panik über seine Handlung, doch dann zerspringen wie beim eisernen Heinrich der Reihe nach die Fesseln, die seine Seele bisher einschnürten. Mit einem Mal unsagbar frei, weiss er, was zu tun ist: Er wird seiner mittlerweile verstorbenen Frau endlich beweisen, dass er sehr wohl dazu in der Lage ist, die Museumskasse zu leeren und mit dem Geld ein paar schöne Tage in Venedig zu verbringen.

Intim wie ein Folterknecht

Dumm nur, dass Lunz nach erfolgreicher Tat noch mit der Strassenbahn nach Hause fahren muss, um die Nordic-Walking-Stöcke einzupacken, und dass an der Wohnungstür bereits zwei Polizisten auf ihn warten. Man nimmt es dem Erzähler übel, dass er Lunz den kleinen Triumph nicht gönnt, doch der gescheiterte Ausbruch ist Programm: Für keine der Figuren in Christoph W. Bauers Erzählband «In einer Bar unter dem Meer» gibt es Rettung. Niemand entkommt seinem Schicksal, mag dieses auch Isolation, Ruin oder Wahnsinn bedeuten. Bauers Protagonisten sind Verdammte, die auf keine günstige Wendung hoffen dürfen, auf kein zugedrücktes Auge oder «Schwamm drüber», das ihre Ausrutscher tilgen würde. Gnadenlos werden sie aus dem Amt gejagt, aus der Wohnung geworfen, von den Mühlen des Alltags zermalmt.

Der Erzähler ist mit seinen Figuren dabei so intim wie ein Folterknecht mit seinen Opfern, deren geheimste Regungen er besser kennt als diese selbst. Als meisterhafter Stimmenimitator führt er vor, wie fest die Sprache so manche Gedankenwelt im Würgegriff des Phrasenzwangs hält. Auch die Konstruktionsfehler zum Einsturz bestimmter bürgerlicher Existenzen legt er unerbittlich bloss. Doch mag die Lage auch hoffnungslos sein – ernst ist sie noch lange nicht.

Lustvoll lässt Christoph W. Bauer seine Figuren in ausweglose Situationen geraten, sich bis auf die Knochen blamieren und absonderliche Dinge tun. Bei aller Komik und allem rabenschwarzen Humor, die dabei zum Einsatz kommen, bleibt einem das Lachen doch oft im Hals stecken: In ihren Nöten und auch ihrer Lächerlichkeit sind uns diese Figuren doch gefährlich nahe, beängstigend normal scheint selbst der Wahnsinn, der in kleinen Dosen und unscheinbaren Nebensätzen in so manchen Text einsickert und ihn schliesslich ins Surreale kippen lässt.

Organisierte Zufriedenheit

Wer könnte etwa mit Sicherheit sagen, dass es Firmen wie diejenige eines gewissen Branzer nicht zumindest in Ansätzen tatsächlich gibt? Dieser ist Auftragnehmer einer Stadtverwaltung, die die Zufriedenheit der Bürger steigern will. Branzers Geschäftsidee ist bestechend einfach: Montags, mittwochs und freitags simuliert er für je eine Stunde den vielbeschäftigten Hausmeister, zwinkert dabei anweisungsgemäss frühreifen Mädchen zu «und schnalzt im Beisein ihrer gründlich missachteten Mütter mit der Zunge». Fällt der Hausmeister unangenehm auf, so das Kalkül des Auftraggebers, kann niemand behaupten, es gebe keinen – was aber der Fall ist. Weitere Rollen Branzers im Lauf einer Woche: Müllmann bei der wohlverdienten Pause an einem harten Arbeitstag, Bauarbeiter, an der Wursttheke von der hervorragenden Auftragslage schwärmend, Fake-Polizist, der die gefühlte öffentliche Sicherheit verbessert. Echt ist nur der Herzinfarkt, der Branzer schliesslich niederstreckt.

Auch nicht ganz so weit hergeholt, wie es zunächst den Anschein hat, ist die Idee des Gesichtsverleihs «Rent a face», bei dem sich ein Beamter eine Hemingway-Visage fürs Wochenende mietet. Die Ehefrau, mit der er schon lange nicht mehr im Bett war, glaubt er bei einer Freundin in der Schweiz. Als er in der vagen Hoffnung auf einen Flirt in eine Bar geht, versucht ihn dort ausgerechnet seine Frau, die ihn nicht erkennt, zu verführen. Es wird ihr wohl gelingen, doch mit dem Möchtegern-Hemingway würde niemand tauschen wollen – mit einem Mal begehrt er seine Frau wie seit Jahren nicht mehr, doch wer wird schon gern betrogen, und sei es mit einem unerkannten Selbst?

Christoph W. Bauer: In einer Bar unter dem Meer. Erzählungen. Haymon-Verlag, Innsbruck 2013. 232 S., Fr. 28.50.

 

 

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