Seitenblicke auf den Weltuntergang

Kein Haus der Geschichte in Sicht – gerade in Gedenkjahren spürt man das schmerzlich. Wo sonst wäre der richtige Ort für eine umfassende Ausstellung über den Ersten Weltkrieg? Immerhin gibt es kleinere Ausstellungen zum Epochenbruch, durch die Bank sehenswert. Hier mein Artikel über drei davon:

Wien und der Erste Weltkrieg

Seitenblicke auf den Weltuntergang

Georg Renöckl Gestern, 1. Juni 2014, 05:30

Manche Gelegenheiten kommen nur alle hundert Jahre wieder. Das europaweite Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist so eine, allein in Wien hat man sie nicht kommen sehen. So findet Österreichs – angeblich sogar Europas – grösste Ausstellung zum Ersten Weltkrieg auf der niederösterreichischen Schallaburg statt, eineinhalb Autostunden von der Hauptstadt entfernt. Im einstigen «Epizentrum des Zusammenbruchs» sucht man eine grössere Zusammenschau zum Ersten Weltkrieg indes vergeblich. Doch auch die vereinzelten Schlaglichter, die Wiens Museen auf den Epochenbruch werfen, zeigen Interessantes.

«Weltuntergang» lautet etwa der Titel der derzeitigen Ausstellung im Jüdischen Museum. Er könnte nicht präziser sein: Kaum eine Bevölkerungsgruppe identifizierte sich stärker mit dem Habsburgerreich als seine jüdischen Bürger, für die mit der Monarchie tatsächlich eine relativ heile Welt einstürzte. Die 1867 den übrigen Bürgern gleichgestellten Juden galten als Schmelztiegel der Kulturen im spannungsgeladenen Vielvölkerstaat. Seit 1788 konnten sie im stehenden Heer dienen, bis hin zum Generalsrang. Viele Wiener Juden waren Reserveoffiziere.

Vom Ort der Rettung zur Todesfalle

Vor allem gegen das judenfeindliche Russland zogen sie mit patriotischer Begeisterung, während Zehntausende galizische Juden vor den Truppen des Zaren flohen. Das rettende Wien wurde später zur Todesfalle: Manch einer der 1938 zur Gehsteig-Reinigung Gezwungenen legte dazu die alte k. u. k. Uniform an, Tapferkeitsmedaillen inklusive. Beides schützte weder vor der Demütigung noch vor der Deportation. Den Weg vom goldenen Zeitalter in den Abgrund dokumentiert die bewegende Ausstellung anhand zahlreicher Interviews, durch exemplarische Lebensläufe, Plakate, Kunstwerke und Fotografien. Auf Kultgegenständen prangt neben dem Davidsstern stets der Doppeladler.

Am Beginn des Weltuntergangs auf Raten steht die Proklamation «An meine Völker», in der Kaiser Franz Joseph seine Untertanen über den kommenden Krieg informiert. Unmittelbar danach begann die einstige Hof- und heutige Nationalbibliothek damit, Plakate, Flugblätter, Postkarten, Liedertexte und Fotos aus der «grossen Zeit» für die Nachwelt zu sammeln. In ihrem Prunksaal ist nun eine Auswahl dieser Dokumente zu sehen, als deren kuriosestes der Aufruf gelten darf, «Gruss- Enthebungsabzeichen» zu erwerben: «Der Träger dieses Abzeichens nimmt an der Kriegsfürsorge teil und ist des lästigen Hutabnehmens beim Grüssen enthoben.»

Der Krieg blieb nicht lange so heiter. Am 23. Mai 1915 folgt eine weitere «An meine Völker» gerichtete kaiserliche Proklamation: «Der König von Italien hat Mir den Krieg erklärt», heisst es darin. «Hurra, hurra, nun geht es los», beginnt das «Kampflied gegen Italien», doch auf dem Plakat, das den Gebirgskrieg verherrlichen soll, klammert sich ein ziemlich alter Mann in Kaiserjäger-Uniform an einen bröckelnden Felsen. «Wäre unsere Flotte stärker, dann hätten England und Frankreich nicht Hunderttausende ihrer Kolonialtruppen nach Europa bringen können», steht auf einem ebenfalls eher nachdenklichen Plakat des Österreichischen Flottenvereins. Es ist nicht mehr weit bis zum «Aufruf zum Einsammeln von Brennesselstengeln».

«Ade, Franzl»

Der Krieg ist vom fernen Abenteuer zum täglichen Überlebenskampf geworden, in dem Frauen eine wichtige Rolle spielen. Mit sexistischem Humor zeigen Postkarten eine Strassenkehrerin als «putziges Mädel» und eine Briefträgerin als «Brieftäubchen». Inzwischen verfasst der junge und letzte Kaiser Karl I. seinerseits Proklamationen an die «getreuen österreichischen Völker». Am Ende des Krieges ist der Adressat dann «das deutsche Volk von Österreich», der Absender kein Habsburger mehr.

Auffallend an Franz Josefs Botschaft zu Kriegsbeginn ist eine zentrale Leerstelle: In seiner Proklamation ist zwar vom «Hass gegen Mich und Mein Haus» die Rede, doch einen direkten Hinweis auf den ermordeten Thronfolger findet man darin nicht. Allzu viel ist auch sonst nicht über den verhinderten Kaiser bekannt, dessen Verhältnis zum alternden Amtsinhaber ein bekannt problematisches war. Einen ungewöhnlichen Zugang zur Persönlichkeit Franz Ferdinands eröffnet nun das «Weltmuseum», das ehemalige Museum für Völkerkunde, das auf die Privatsammlung des Thronfolgers zurückgeht. «Franz is here» heisst die derzeitige Ausstellung, in der das Museum seinem Gründer die Reverenz erweist. Von einer zehnmonatigen Weltreise schickte dieser im Jahr 1893 nicht weniger als 14 000 Objekte nach Wien, «worüber der Gesammt-Detailofficier schier in Verzweiflung gerieth», wie der Erzherzog vergnügt in seinem Tagebuch vermerkt.

Diese Aufzeichnungen bilden den einzigen erklärenden Text zu 900 ausgewählten Reisesouvenirs. Was dabei völlig fehlt, sind die gewohnten Beschreibungen der Objekte – schliesslich interessierte sich auch Franz Ferdinand ausschliesslich für die Schönheit der Gegenstände, nicht aber für langwierige Erklärungen, lautet die bestechend schlichte Begründung. So spaziert man recht ungezwungen durch eine kunterbunte Sammlung von Kunsthandwerk und Kriegsgerät, Jagd- und Kochwerkzeugen, Kultgegenständen und Tierpräparaten und lauscht dabei den über Lautsprecher eingespielten Tagebuchnotizen des Erzherzogs. Dieser ist vor allem vom Kochen in freier Wildbahn, von der Grosswildjagd und vom Power-Shoppen in diversen Basaren begeistert.

Weniger erfolgreich war Franz Ferdinand beim Versuch, inkognito zu bleiben: «Here’s another duke» titelte eine Chicagoer Zeitung bei Eintreffen des Erzherzogs, «Ade, Franzl» das «New Yorker Morgenjournal» anlässlich der Rückreise nach Europa. Als Museumsbesucher, der gerade einmal einen Blick auf eine der zentralen tragischen Figuren am Beginn der Tragödien des 20. Jahrhunderts erhascht hat, würde man lieber «Auf Wiedersehen» sagen.

«An meine Völker!»: Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, Josefsplatz 1, 1010 Wien. Bis 2. November 2014. «Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg»: Jüdisches Museum Wien , Dorotheergasse 11, 1010 Wien. Bis 14. September 2014. «Franz is here!»: Weltmuseum Wien , Heldenplatz, 1010 Wien. Bis 2. Nov. 2014. www.weltmuseumwien.at

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