Der Kaiser ist tot, es lebe der Kaiser

Hier eine Glosse in der NZZ über die bevorstehenden Wiener Jubiläen:

 

Der Kaiser ist tot, es lebe der Kaiser

Die Kandidaten für die österreichische Bundespräsidentenwahl im April eint ein gemeinsames Problem: Keines der Wahlkampfteams hatte rechtzeitig daran gedacht, sich eine Internet-Domain nach dem Schema www.kandidatenname2016.at zu sichern. Eine Zeitlang nutzten Spaßvögel die freie Bühne, mittlerweile sind die Pannen weitgehend behoben. Nur der vermeintliche Web-Auftritt des Konservativen Andreas Khol führt heute noch zu einer Initiative gegen das Eheverbot für Homosexuelle.

Um keinen Scherz handelt es sich bei der Seite www.franzjoseph2016.at. Freilich geht es da nicht um ein etwaiges Habsburger-Revival in der Hofburg, dem heutigen Amtssitz des Bundespräsidenten, obwohl Mitgliedern des Erzhauses erstmals seit 1918 die Kandidatur erlaubt ist. Vielmehr wird auf eine Serie von Ausstellungen zum hundertsten Todestag des Staatsoberhauptes a. D. hingewiesen, dem Zeit seines Lebens Wahlkämpfe erspart blieben, wenn auch – zumindest in seiner eigenen Wahrnehmung – sonst nichts.

„Ich bin mit meiner Arbeit nicht ganz fertig geworden“, sollen die letzten Worte des mit 68 Jahren Herrschaft dienstältesten Monarchen seiner Zeit gewesen sein. Sie passen zum wenig schmeichelhaften Bild des vorletzten Kaisers, das Historiker zeichnen: Schon als Kind habe Franz Joseph seinen Mangel an Intellekt und Esprit durch stures Auswendiglernen und eiserne Disziplin kompensieren müssen. So wurde er, der sich trotz seiner Leidenschaft für alles Militärische auch noch als miserabler Heerführer erwiesen hatte, zum obersten Beamten des Staates, den er durch Reformunfähigkeit, mangelnden Weitblick und schlechte Personalpolitik in den Abgrund führte. „Der Kaiser hat Österreich zweimal unendlich geschadet – einmal durch seine Jugend und einmal durch sein Alter“, fasste sein mehrmaliger Minister und Regierungschef Ernest von Körber die Epoche Franz Josephs zusammen. Und der Mythos vom gütigen Landesvater mit weißem Rauschebart? Dafür musste der Kaiser wie jeder, der es in Österreich wirklich zu etwas bringen will, erst einmal sterben. Joseph Roth, als Soldat zum Begräbnis abkommandiert, schildert das letzte gesellschaftliche Großereignis der Monarchie so: „Mein Herz war schwer, und meine Augen, befehlsgemäß und soldatisch dem Kondukt zugewandt, füllten sich mit Tränen, so, daß ich zwar blickte, aber nichts sah. – Wem weinte ich damals nach? – Gewiß dem Kaiser Franz Joseph: Aber auch mir selbst […].“ Das gilt auch für Österreich im Jahr 2016.

Franz Josephs Urgroßonkel Joseph II. verdankt Wien ein weiteres Jubiläum: Der ungleich begabtere Habsburger ließ den Prater, vormals exklusiv kaiserliches Jagdrevier in den Auwäldern des Donaustroms, vor 250 Jahren für sein Volk öffnen, das sich ohnehin nicht an das Betretungsverbot gehalten hatte. Die Hauptallee des Praters wurde binnen Kurzem zu einem Pendant der Pariser Champs Elysées, mit eleganten Caféterrassen und Konzertsälen. Sonntags stauten sich noble Kutschen, Strauß, Lanner und co. musizierten. Peter Altenberg schaute kleinen, Arthur Schnitzler jungen Mädchen nach – mit der erotischen Anziehungskraft des Parks hatte immerhin schon Mephisto den Faust zum Hexensabbat gelockt: „Hier ist‘s so lustig wie im Prater“. An dessen glanzvolle Vergangenheit erinnert heute nur noch das Riesenrad, der Rest verbrannte bei der Eroberung Wiens durch die Rote Armee. Der Versuch, verlorene Eleganz durch nostalgischen Kitsch zu ersetzen und dem Prater ein neues repräsentatives Gesicht zu verpassen, endete vor ein paar Jahren in einem finanziellen und ästhetischen Desaster. Man wird heuer großzügig darüber hinwegsehen: Bei einem großen Blumencorso am 9. April werden die Zeiten Kaiser Franz Josephs wieder zum Leben erweckt, mit geschmückten Kutschen, historischen Uniformen und k. u. k.-Regimentsmusik. Mit erhöhtem Backenbart-Aufkommen ist zu rechnen.

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