Mit dem Vélib in Paris unterwegs – für die Presse.
Paris bio und à vélo in neunzig Minuten
Drei Radtouren durch die französische Hauptstadt, in der bio, Nachhaltigkeit und „elegantes“ Radfahren der neueste Schrei sind.
08.07.2016 | 19:12 | Die Presse)
(Leihräder voller Werbung? Die würde bei uns niemand benützen. Wenn etwas in Paris funktionieren soll, dann muss es elegant sein.“ So einfach fasst Patricia, die einen Fahrradverleih im 19. Arrondissement betreibt, die Unterschiede der Leihradsysteme von Wien und Paris zusammen. Und tatsächlich: Die 23.000 so robusten wie formschönen, schlicht-grauen „vélibs“ sind nicht mehr aus dem Pariser Alltag wegzudenken. Paris will aber nicht nur spätestens 2020 Welthauptstadt des Fahrrads sein. Auch ein urbaner Lebensstil, der mit Umwelt- und Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Bio und Fairtrade vereinbar ist, wird an der Seine auch mit dem gewissen Schuss Eleganz propagiert.
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Schwingen wir uns also wie die Pariser in den Leihsattel, um dem neuen nachhaltigen Lebensgefühl auf die Spur zu kommen. Hängt man zwei oder drei der kostenlosen Dreißig-Minuten-Etappen aneinander, bekommt man dabei viel Paris in wenig Zeit für gar kein Geld. Hier drei Vorschläge für je drei mal dreißig Minuten Bio-Paris.
Route 1: Vom Jardin du Luxembourg rollt man inmitten eines Schwarms gut gekleideter junger Menschen den Boulevard Saint Michel hinunter, vorbei an Panthéon und Sorbonne. Einheimische erkennt man daran, dass sie am links blinkenden Bus ungerührt links vorbeifahren. Auf der Île de la Cité biegen wir rechts ab, mit Aussicht auf Nôtre Dame, Bouquinisten, Place Saint Michel. An der Kathedrale vorbei geht es auf die vornehme Île Saint Louis – Blick auf die Nôtre-Dame-Kehrseite nicht vergessen! –, von dort über den Quai d’Orléans auf das rechte Seine-Ufer, auf dem Boulevard Morland vorbei am hübschen Pariser Jachthafen. Der Pont d’Austerlitz bringt uns auf das linke Ufer zurück, ein Radweg zur Nationalbibliothek.
Chicharrón-Sandwich-Stopp
Beim nun fälligen Vélib‘-Wechsel vor der schön geschwungenen Passerelle Simone de Beauvoir lohnt sich ein Abstecher zu den Food-Trucks zwischen Bibliothekshaupteingang und Kino: Peruanische Chicharrón-Sandwiches oder die Bioburger des Camion qui fume bekommt man nicht alle Tage! Über die Passerelle gelangt man hinauf zum Parc de Bercy, über eine Rampe hinunter ins ehemalige Weinlager Cour Saint Emilion, heute ein Einkaufszentrum mit den üblichen Ketten, darunter immerhin die hervorragende Bäckerei von Eric Kayser.
Die Rue du Baron bringt uns zu einer Eisenbahnunterführung, diese über die Rue de Charenton zur Place de Reuilly. Ein früher Fahrradwechsel bietet sich an: Man kann im Park gegenüber der Vélib‘-Station die Trinkflasche mit nicht nur kühlem, sondern auch mit prickelndem Nass aus dem Mineralwasserbrunnen auffüllen. In der Allée Vivaldi wartet bereits die nächste Vélib‘-Station, durch einen Tunnel geht es in die „coulée verte“, eine üppig bewachsene Schneise im Großstadtdschungel. Nach ein paar Minuten erreicht man über die alte Bahntrasse die Rue de Toul, die zur Avenue Daumesnil und zur Porte Dorée führt: Endstation.
Route 2: Auf der Place de la Bastille beginnt eine zweite lohnende Vélib‘-Tour: Ein Ausflug in den Nordosten, der über den Boulevard Richard Lenoir mitten ins fabelhafte Amelie-Poulain-Paris am Canal Saint Martin führt, vorbei an hübschen Brücken, Bobo-Lokalen und Boutiquen. Am Bassin de la Villette ist es wieder an der Zeit, das Rad zurückzugeben, eine kurze Pause zu machen und den Ort wirken zu lassen: Die Rotonde, früher ein Zollgebäude, ist ein stylishes Restaurant geworden, am Wasser locken Cafés und Kinos in ehemaligen Speichergebäuden.
Auch bei der Weiterfahrt stadtauswärts gibt es reihenweise Gründe, die Fahrt zu unterbrechen, von der Bar Ourcq mit Liegestuhl- und Boule-Verleih über den etwas kitschig bunten Pavillon du Canal bis zur Paname Brewing Company, einer Craft-Beer-Brauerei mit Restaurant und schöner Terrasse. Gleich dahinter ist eine Zugbrücke aus dem Jahr 1885 nach wie vor im Dienst. Kurz vor dem Parc de la Villette kann man in Patricias Fahrradverleih „richtige“ Räder für drei oder sechs Stunden ausborgen: In einer guten Stunde gelangt man von hier, immer dem Canal de l’ourcq folgend, zum Parc de Sevran mit einer alten Pulverfabrik mitten im Eichenwald. Die Verpflegung fürs schnelle Picknick auf einer einsamen Waldlichtung besorgt man sich am besten in der Cave de l’Ourcq, einem brandneuen Café-Restaurant mit schönem, nach regional-saisonalen Grundsätzen bestücktem Greißlerladen.
Kulturzentrum Bestattung
Oder man bleibt in Paris und auf dem Vélib‘ und macht einen Abstecher zum „Centquatre“ in der Rue Curial, dem als Kulturzentrum wiedergeborenen vormaligen Hauptsitz der Pariser Bestattung, bei dem sich einmal mehr zeigt, wie gut sich die großzügigen Hallen von anno dazumal mit modernen Nutzungen vertragen. Ein passender Abschluss des Ausflugs ist die Recyclerie: Man erreicht den früheren Bahnhof spielend innerhalb einer weiteren Vélib‘-Periode durch die Rue Riquet, die Rue Ordener und den Boulevard Ornano. In der Recyclerie kann man in fröhlichem Shabby-chic-Ambiente essen, eine Werkstatt mieten, urban garteln, kompostieren lernen oder der zur Abfallverwertung eingesetzten Hühnerschar bei der Arbeit zuschauen. Eier gibt es für Stammkunden per Abo-System.
Route 3: Im Vergleich zum boboisierten Pariser Osten hat der Westen der Stadt in Sachen Fahrradinfrastruktur noch Nachholbedarf. Der dritte Parcours unter dem Motto „Berühmte Kreisverkehre und Sichtachsen im Westen“ ist daher nur für Menschen eine Option, die auch mit etwas mehr Adrenalin im Blut gut leben können. Wir starten auf der Place Vendôme, genießen das noble 360°-Panorama bei einer Umrundung der Napoleon-Säule, folgen der Rue de la Paix bis zur Oper und von dort der Avenue de l’Opéra in Richtung Louvre. Vorsicht bei der Rue de Rivoli: Auf Radfahrer, die zu spät in die Kreuzung einfahren, stürzen sich Motorräder wie ein Schwarm Killerwespen. Schlicht erhebend ist dafür die Einfahrt in den Hof des Louvre und die – nur per Rad mögliche – Fahrt durch den kleinsten der drei bekannteren Triumphbögen der Stadt. Nach der Place de la Concorde beginnt eine der härtesten Vélib‘-Teilstrecken der Metropole: Die Champs Elysées, what else. Wer auch immer diese zur schönsten Avenue der Welt erklärt hat, ist garantiert nicht mit dem Rad gefahren: Die Steigung zieht sich endlos, das Pflaster ist schäbig, Taxis und Motorräder verstopfen die Busspur. Spätestens in der Rue de Balzac ist es Zeit für ein neues Vélib‘ und eine Verschnaufpause.
Die Place Charles de Gaulle ist aus Radfahrersicht der innerste Kreis der Hölle – wer diesen fürs „I did it“-Gefühl nicht braucht, umradelt Napoleons Triumphbogen eine Fahrspur weiter draußen: durch die ruhigen Avenuen Tilsit und Presbourg. Weiter durch die Avenue Victor Hugo mit einem – nach dem überstandenen Blechgewitter – geradezu idyllischen Kreisverkehr bis zur Rue des Feuilles. Dort biegen wir nach links, und bei der Place de México steht er dann vor uns, filigran, zart und noch etwas weit weg: der Eiffelturm, den wir auf dem letzten ruhigen Abschnitt dieses etwas stressigen Parcours nicht mehr aus den Augen lassen. Die Reise endet auf der Place du Trocadéro in einem Café nach Wahl. Die Strecke geht sich sogar mit nur einem Radwechsel aus, gemütlicher mit zwei.
Und die Sache mit der Radhauptstadt? Sagen wir so: Wenn man es im Jahr 2020 wirklich genießen kann, beim entspannten Radeln auf den Champs Elysées durchgehend eine gewisse Melodie von Joe Dassin zu pfeifen, dann wird sich Amsterdam tatsächlich warm anziehen müssen.
Infos: Atout France, 01/503 28 92, www.france.fr
Fair essen und shoppen
www.lebiodadameteve.com02. Pur etc.: 21, rue des Jeûneurs, 75002 Paris. Fast Food aus lokalen und saisonalen Produkten – ja, das geht, und zwar hervorragend. www.pur-etc.fr
03. Chez Meunier: 181, rue Saint-Denis, 75002 Paris. Biobäckerei und Café in schön patiniertem Ecklokal, sehr gutes Frühstück.
04. Wild And the Moon: 55, rue
Charlot, 75003 Paris. Smoothies, Säfte, Suppen – kaltgepresst, lokal und gut. www.wildandthemoon.com
05. Café Pinson: 6 rue du Forez, 75003 Paris. Bio, vegan, très chic – an vier Standorten.
www.cafepinson.fr
06. Merci: 111, Boulevard Beaumarchais, 75003 Paris. Es muss nicht immer Bio sein, Fairtrade und Nachhaltigkeit spielen aber eine wichtige Rolle in diesem großartigen Concept-Store auf drei Etagen einer alten Tapetenfabrik. Zwei Cafés, eine Kantine, das Sortiment reicht vom Biogrillanzünder bis zum bolivianischen Recycling-Fairtrade-Trinkglas. www.merci-merci.com
07. Bob’s Kitchen: 74 rue des Gravilliers, 75003 Paris. Veggie, Rawfood, Smoothies – nett, hübsch, leistbar. www.bobsjuicebar.com
08. Paris terroirs : 57, rue Monge, 75005 Paris. Bioweinhändler, große Auswahl, kompetente Beratung. https://paristerroirs.wordpress.com
09. Soya: 20, rue de la Pierre levée, 75011 Paris. Schwer angesagtes Bio- und Veggierestaurant. Frische, innovative, ausgezeichnete Küche, cooles Ambiente.
10. Yuman: 70 Rue du Chevaleret, 75013 Paris. Direkt hinter der Nationalbibliothek gelegenes Biorestaurant, sehr gute Quiches.
www.yuman-restaurant.com
11. Auf dem Weg dorthin, vor dem Eingang der MK2 Bibliothèque, kommt man gelegentlich am Foodtruck vorbei – mit Lokal/Saisonal-Label ausgezeichnete Burger. www.lecamionquifume.com
12. La cave de l’Ourcq: 22 bis rue de l’Ourcq, 75019 Paris. Auf Radroute zwei: Hübsches neues Lokal mit Greißlerei, Schwerpunkt liegt auf saisonalen und regionalen Produkten. Hervorragende Bierauswahl.
lacavedelourcq@gmail.com.
13. La Recyclerie: 83 boulevard Ornano, 75018 Paris. Schnellimbiss, Café, Restaurant, Urban farm, Bastelwerkstatt, Partymeile, Hühnerstall – und das alles in einer seit Jahrzehnten leer stehenden Bahnhofshalle der alten „Petite ceinture“-Eisenbahn. Wunderschön!
www.larecyclerie.fr
14. Biosupermärkte und Kooperativen. Die größten Biosupermarktketten in Paris sind Naturalia (naturalia.fr) und Bio c’bon (bio-c-bon.eu) mit Dutzenden Standorten.
Ergänzt wird das Angebot durch ein dichtes Netz der Biokooperativen www.biocoop.fr und www.lesnouveauxrobinson.coop, bei denen auch Nichtmitglieder einkaufen können, etwa auf Radroute zwei bei Bio Canal, 46 bis quai de la Loire, 75019 Paris.
So gut wie jeder der unzähligen Pariser Straßen- und Wochenmärkte (Liste unter http://meslieux.paris.fr/marches) verfügt über ein Bioeck. Besonders nett bzw. mit guter Imbissinfrastruktur ausgestattet: der Marché des enfants rouges, 39, Rue de Bretagne.
15. Reine Biomärkte:
Marché Raspail: Sonntags, Boulevard Raspail, 75006 Paris, zwischen rue du Cherche Midi und rue de Rennes.
Marché Brancusi: Samstags, Place Constantin Brancusi, 75014 Paris (Bioaustern!).
Marché des Batignolles: Samstags, 34 boulevard des Batignolles. Marché du Centquatre: Samstags, 5, rue Curial, 75019 Paris.
Adressen rund ums Fahrrad:
Alles zu Vélib‘ unter www.velib.fr. Wer keine Kreditkarte mit PIN hat, registriert sich unkompliziert online – das Acht-Tage-Abo kostet acht Euro, dreißig Minuten Fahrzeit sind gratis. An Sonn- und Feiertagen sind viele Verkehrsachsen und Stadtviertel autofrei, Pläne dazu unter www.paris.fr/parisrespire.
Tipps, Touren, Karten für ganz Frankreich bekommt man auf www.francevelotourisme.com.
Fahrradverleihe:
Allo vélo: 2 rue Beauregard. allovelo.com
Le Peloton: 17 rue Pont Louis Philippe. www.bikeabouttours.com
Point vélo hollandais: 81, boulevard Saint Michel, 75005 Paris. www.pointvelo.com
Gepetto Vélos: 59 rue due Cardinal Lemoine, 75005 Paris. www.gepetto-velos.com
Valmy Cycles: 179, qui de Valmy, 75010 Paris, +1/420 968 16.
Holland Bikes Paris: 9, Avenue de Villiers, 75017 Paris. www.hollandbikes.com
AICV: 38 bis quai de la Marne, 75019 Paris. www.aicv.net
Fahrradtaxis
Velotaxi: www.visite-insolite-cyclopolitain.com/fr/12-paris-velotaxi. (55€/h)
Tripup: www.tripup.fr/micro-courses. (10€/10 min.)