Patchwork auf Urlaub: Scheitern erlaubt

Für die Standard-Familie: 

 

Patchworkfamilie auf Urlaub: Scheitern am Kopfkino

Georg Renöckl6. Juli 2016, 05:30

Sich Zeit lassen, die Erwartungen nicht zu hoch stecken, notfalls Pläne ändern – Patchwork-Familien sollten das Urlauben gelassen angehen

Es war Liebe auf den ersten Blick: Auf der kleinen kroatischen Insel mit dem hübschen Ferienhaus, die sie beim Familienurlaub zufällig entdeckt hatten, wollten Thomas und Josephine unbedingt einmal den Sommer verbringen – vielleicht mit ein paar befreundeten Familien. Der nächste Urlaub war schon geplant, also reservierten sie das Haus kurzerhand fürs übernächste Jahr.

Doch auf die schönen Wochen am Meer folgte ein turbulenter Herbst: Die Beziehung zwischen Thomas und Josephine ging in die Brüche. Das ganze Leben musste neu geordnet, der Alltag mit der gemeinsamen Tochter, um die sie sich beide kümmern, neu organisiert werden. Mittlerweile ist alles gut eingespielt. Josephine hat einen neuen Partner. An das Traumhaus auf der Insel dachten alle eine Zeitlang nicht mehr – bis der gebuchte Sommer näherrückte und eine Entscheidung anstand: bestätigen oder stornieren?

Scheitern erlaubt

„Ich war zwar schon einmal mit meinem neuen Freund auf Urlaub“, erzählt Josephine, „aber zu dritt ist das schon etwas ganz anderes. Ich war unsicher, ob wir hinfahren sollen.“ Ausschlaggebend war dann die Ermutigung durch den Freundeskreis: „Wir sind jetzt nicht ’nur‘ zu dritt, sondern fahren mit einer ganzen Gruppe hin, die uns unterstützt. Das fühlt sich ganz anders an. Ob es wirklich funktioniert, wissen wir erst dann.“

Für Sandra Teml-Jetter macht Josephine wohl alles richtig. Teml-Jetter ist Familienberaterin, in Jesper Juuls „familylab“ als Einzel- und Paarcoach tätig und führt mit ihrem Mann eine Coaching- und Beratungspraxis im fünfzehnten Wiener Gemeindebezirk. „Für den Urlaub als Patchworkfamilie gibt es kein Patentrezept“, sagt sie. „Aber Flexibilität ist ganz wichtig. Man muss bereit dazu sein, Dinge auszuprobieren und aus Erfahrungen zu lernen.“ Dabei sollte nichts überstürzt werden: „Man muss das mit dem Urlaub langsam angehen“, meint Teml-Jetter, „Familien scheitern oft am Kopfkino: Man stellt sich alles zu perfekt vor und stülpt die eigenen Wunschvorstellungen über die Kinder.“

Je jünger, desto streitlustiger

Dass Urlaub grundsätzlich ein „Beziehungsthema“ ist, wie es im Therapeutendeutsch heißt, zeigt auch die Statistik: Zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher streiten im Urlaub, hat ein Meinungsforschungsinstitut kürzlich erhoben. Meist stehen mitgebrachte Alltagsprobleme und zu hohe Erwartungen hinter den Streits. Dabei gilt: je jünger die Urlaubenden, desto heftiger und häufiger der Streit.

Unausgesprochene Sehnsüchte, idealisierte Vorstellungen von der Beziehung, aber auch Tabuthemen – im Urlaub komme alles an die Oberfläche, erklärt dazu Teml-Jetter. Je mehr Menschen involviert sind, desto komplexer wird die Angelegenheit: Zu den neuen Partnern innerhalb der Patchwork-Familie kommen die zu Hause gebliebenen Elternteile, die sich auch für das Wohl ihrer Kinder verantwortlich fühlen und in vielen Dingen mitreden wollen.

Wer zahlt fürs Kind?

 

„Wenn die Trennung noch nicht abgeschlossen und noch keine Ruhe drin ist, dann kann das für alle Beteiligten furchtbar sein“, erzählt die Beraterin aus der Praxis. Neben der Frage, mit welchem Elternteil das Kind wie viel Zeit in den Sommerferien verbringt, kann es hier auch zu handfesten finanziellen Streitigkeiten kommen: Irgendwer muss den Urlaub für das Kind schließlich bezahlen.

Sehnsucht nach Kernfamilie

Zur Vorsicht rät Teml-Jetter daher bei Plänen, mit sämtlichen Kindern auf Urlaub zu fahren, die beide Partner aus früheren Beziehungen mitbringen. Natürlich sei ein solches Vorhaben wahrscheinlich „lieb gemeint“ – doch wer sagt, dass sich die Kinder auf Anhieb verstehen wie Geschwister? Auch über die Beziehung von Neopartnern zum eigenen Nachwuchs sollte man sich keine Illusionen machen: „Stiefeltern haben nun einmal kein auf Anhieb gutes Standing, sondern eine schwierige, archetypische Rolle. Sie sind zunächst sicher keine ‚Bonus-Eltern'“. Bei den Kindern – und wahrscheinlich auch bei vielen Eltern – bleibe die Sehnsucht nach der Kernfamilie im Regelfall bestehen.

Wer mit seiner Patchwork-Familie trotz allem eine gute Zeit im Urlaub verbringen will, sollte dafür sorgen, dass zuvor in Ruhe die Erwartungen besprochen werden können. Jedes Familienmitglied muss sich dabei gehört fühlen, sagt Sandra Teml-Jetter. Womöglich komm dabei folgender Satz heraus: „Vielleicht ist es ja ein Fehler, aber wir probieren es aus“. Im Urlaub gelte schließlich wie im Alltag: „Es braucht eine hohe Reife, um Patchwork gut leben zu können.“ (Georg Renöckl, 6.7.2016)

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