Österreichs gemütliche Islam-Debatte

erschienen am 15. 7. 2011 in der NZZ (nur Print-Ausgabe), aber aktuell geblieben:

Ein Gesetz aus habsburgischen Zeiten ermöglicht Österreich – theoretisch – einen relativ entspannten Umgang mit dem Islam

Historisch gesehen nimmt Österreich gegenüber dem Islam eine europäische Sonderstellung ein. Nicht nur wurde 1683 vor Wien der Vormarsch der Türken militärisch gestoppt. Die Habsburger stellten die Muslime 1912 per Gesetz den Anhängern anderer Religionen gleich. Wie sieht der Umgang mit dem Islam heute aus?

Natürlich hat der Islam eine Telefonnummer. Sie lautet: 526 31 22, mit Vorwahl für Österreich (0043) bzw. Wien (01). Auch eine Website gibt es: www.derislam.at. Seit 99 Jahren, würde man gerne hinzufügen, wie bei einem der wenigen verbliebenen Wiener Traditionsbetriebe aus Kaisers Zeiten, doch das wäre nicht nur wegen der technologischen Entwicklung eine Halbwahrheit: Eher lässt sich Österreichs Islamgesetz von 1912 mit einem Dachbodenfund vergleichen, bei dem sich ein scheinbar längst unnütz gewordener Gegenstand aus dem Erbe der verstorbenen Urgroßtante plötzlich als unverhoffter Schatz entpuppt.

Die Geschichte des Islam in Österreich beginnt 1878, als Bosnien der österreichisch-ungarischen Verwaltung unterstellt wurde. Die Annexion der vormals osmanischen Provinz im Jahr 1908 machte 600 000 Muslime zu einem Teil des habsburgischen Vielvölkerstaats. Nach dessen innerer Logik wurde der Islam am 15. Juli 1912 per Gesetz den christlichen Kirchen und der jüdischen Kultusgemeinde gleichgestellt. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Donaumonarchie verlor das Gesetz seine Bedeutung – bis der Arbeitskräftemangel der 1960er Jahre wieder eine größere und vor allem wachsende Zahl von Muslimen ins Land brachte. In den 1970er Jahren wurde das vorübergehend obsolet, aber nicht ungültig gewordene Islamgesetz wiederentdeckt, nach jahrelangen Verhandlungen konnte 1979 die „Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGiÖ) als offizielle Vertretung der Muslime gegründet werden. Als anerkannte Religionsgemeinschaft verfügt der Islam in Österreich heute über eine Reihe von Rechten, die in Europa einzigartig sind: Die selbständige Verwaltung der inneren Angelegenheiten, die Errichtung konfessioneller Privatschulen, oder auch die Erteilung von Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen. Dieser wurde 1983 eingeführt, die Lehrer mussten anfangs aus islamischen Ländern nach Österreich geholt werden. Seit 1998 gibt es in Wien eine eigene Ausbildung für Religionslehrer, seit 2007 das Masterstudium „Islamische Religionspädagogik“.

Europäisches Unikum

Zu wichtigen islamischen Festtagen werden die Repräsentanten der Glaubensgemeinschaft vom Bundespräsidenten zur gemeinsamen Feier eingeladen, mitten im letzten Gemeinderatswahlkampf zelebrierte der Wiener Bürgermeister das Fastenbrechen im Rathaus der österreichischen Hauptstadt. Erwähnenswert ist der muslimische Gebetsraum in der Wiener Maria-Theresien-Kaserne, wo die Garde des Österreichischen Bundesheeres untergebracht ist. Laut Heeres-Sprechern handelt es sich dabei um ein weiteres europäisches Unikat; die auf Wikipedia kolportierten 40 Prozent Muslime unter Österreichs Gardesoldaten seien hingegen stark übertrieben.

Was würde angesichts dieser offenbar modellhaften Integration des Islam näher liegen, als sich bei einem Spaziergang in der Wiener Innenstadt auf die Suche nach einem Museum für islamische Kunst, einer prächtigen Moschee oder einem markanten Orient-Institut, vergleichbar dem Pariser „Institut du Monde Arabe“ zu machen? Immerhin, eine Moschee hat Wien seit 1979 – weit draußen, bei der UNO-City. In Zentrumsnähe finden sich heute nur diskrete, von außen kaum sichtbare Gebetsräume, kein einziger davon im historischen Herzen der Stadt. Auch ein eigenes Museum, das Kunst und Kultur der islamischen Welt in den Mittelpunkt rückt, sucht man vergeblich. Das 1875 eröffnete „Kaiserlich-königliche Orientalische Museum“ wurde bald in ein schnödes Handelsmuseum umgewandelt, heute erinnert auch daran nichts mehr an dem kleinen barocken Stadtpalais.

Dennoch macht ein Flaneur auf der Suche nach sichtbarer islamischer Präsenz im Wiener Stadtzentrum keine leeren Kilometer. Ist der Blick einmal geschärft, stößt man an so gut wie allen Ecken auf islamische Halbmonde: Auf dem Heldenplatz beispielsweise, als Teil der Reiterstatue des Prinzen Eugen, dessen Pferd gerade türkische Feldzeichen zertrampelt. Oder an der Fassade des Stephansdoms, wo eine barocke Statue den Inquisitor Johannes Capistranus zeigt, der im 15. Jahrhundert die Massen nicht nur gegen Juden und Hussiten aufhetzte, sondern auch gegen die vorrückenden Osmanen. Zu seinen Füßen windet sich ein halbnackter Türke mit beeindruckendem Schnurrbart. Das Gedenken an die erfolgreich überstandenen Türkenbelagerungen und die späteren Siege über die Osmanen, die den Aufstieg Österreichs zur Großmacht einleiteten, prägt Wiens Stadtbild. „Türkenkugeln“, in zahlreichen Mauern verbliebene Kanonenkugeln aus dem Jahr 1683, werden sogar bei Neubauten wieder an die „ursprüngliche“ Stelle gesetzt, schmiedeeiserne Zäune sind mit grimmigen Türkenfiguren verziert, viele Straßennamen („Heidenschuss“, „Türkenschanz“) erinnern an die Kämpfe vor über dreihundert Jahren.

Frontbewusstsein

„Frontier Orientalism“ nennt der Wiener Sozial- und Kulturanthropologe Andre Gingrich das Wachhalten der Erinnerung an die langwierige kriegerische Auseinandersetzung. Es teilt die islamische Welt in „gut“ und „böse“: Als „gute Moslems“ gelten in Österreich noch heute die Bosnier, die kolonisiert wurden und loyal für die neuen Herren in den Krieg zogen. Die Türken bleiben im kollektiven Bewusstsein durch Redewendungen, Ortsnamen, Legenden, Schulbuch-Texte, Lieder und Denkmäler als Bedrohung gespeichert. Selbst als die Reiche der Habsburger und Osmanen im Ersten Weltkrieg verbündet gegen die Entente kämpften, läuteten die Glocken des Stephansdoms zur Feier des „christlichen“ Sieges, als die Briten das bis dahin osmanische Jerusalem erobert hatten. Der Affront gegen den bedrängten Verbündeten am Bosporus war ein doppelter: Die größte Glocke des Doms, die „Pummerin“, war einst aus den Kanonen der türkischen Belagerer gegossen worden.

Das Konzept des „bösen Moslems“ eignet sich heute noch gut zur Mobilisierung von Wählern: „Pummerin statt Muezzin“, „Daham statt Islam“ oder „Abendland in Christenhand“ lauten FPÖ-Parolen aus den letzten Jahren. Jörg Haiders Nachfolger Heinz-Christian Strache ließ sich im letzten Wiener Wahlkampf als Comic-Superheld abbilden, der den historischen Verteidigern Wiens zur Seite steht und kleinen Buben Belohnungen verspricht, wenn sie „dem Mustafa“ mit der Steinschleuder „eine aufbrennen.“

Freilich, den Islam als rhetorische Zielscheibe von Rechtsaußen findet man heute überall in Europa. Der österreichische Grenz-Orientalismus scheint dafür aber ein besonders empfängliches kollektives Bewusstsein geschaffen zu haben, wie zahlreiche vom Verein „Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit“ dokumentierte Fälle zeigen: Frauen mit Kopftuch werden bei Bewerbungen diskriminiert, im Alltag beschimpft oder sogar bedroht. „Wo der islamische Halbmond aufgeht, geht das goldene Wienerherz unter“, heißt es in wohl unabsichtlicher, aber treffender Doppeldeutigkeit auf der Homepage einer Bürgerinitiative, die sich gegen den Ausbau eines islamischen Kulturzentrums wehrt und dabei mühelos den Bogen von drohender Parkplatznot zum Untergang des Abendlandes spannt.

Es ist tatsächlich eine spannungsgeladene Situation, in der am 26. Juni mit Fuat Sanac ein neuer Präsident die Führung der Islamischen Glaubensgemeinschaft übernahm. Trotz ihrer offiziellen Anerkennung stehen auch Österreichs Muslime unter dem Generalverdacht, Sympathien für Terroristen zu hegen und von europäischen Werten wenig zu halten. Sanacs Weg aus der Defensive ist fürs erste mit Schlagworten wie „Modernisierung“, „Professionalisierung“, „höherer Frauenanteil“, „mehr Dialog“ gepflastert. Das übergeordnete Ziel lautet, eine österreichisch-islamische Identität aufzubauen.

Günstige Voraussetzungen

Ein eigentlich überfälliger Schritt: Österreichs Muslime leben längst nicht mehr wie 1912 am fernen Rand eines Riesenreichs, sondern gleich um die Ecke. In den letzten Jahrzehnten ist ihre Zahl auf etwa 500.000 gestiegen, das entspricht der Bevölkerung eines Bundeslandes wie Kärnten oder Salzburg. Die Voraussetzung für die Schaffung eines Austro-Islam scheinen günstig: Eine überwältigende Mehrheit der Muslime im Land fühlt sich längst in Österreich heimisch, bestätigt Migrationsforscher Heinz Fassmann, der die Bundesregierung bei der Umsetzung des „Nationalen Aktionsplans für Integration“ berät. Die Islam-Debatte verläuft heute nicht mehr nur entlang der üblichen festgefahrenen Fronten, sondern auch innerislamisch: Initiativen wie das „Forum emanzipatorischer Islam“ sorgen durch Diskussionsveranstaltungen mit muslimischen Vor- und Querdenkern zu Reizthemen wie „Islam und Sexualität“ für frischen Wind und großen Publikumsandrang.

Ein untrügliches Zeichen für die „Verösterreicherung“ der Muslime der Alpenrepublik hat der aus Deutschland stammende Wiener Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker ausgemacht. Er wurde bei einer Konferenz zum Thema „Islam in Europa“ heftig für die Wahl der – vorwiegend bundesdeutschen – Vortragenden angegriffen. Lohlkers Schlussfolgerung: „Wenn eine österreichische Muslimin einen deutschen Professor kritisiert, weil es zu viele Deutsche auf dem Podium gibt, dann nenne ich das gelungene Integration.“

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