MacBeth 2.0

Neues von Olga Flor, lesenswert! Hier gehts zur NZZ-Besprechung.

 

In ihrem neuen Roman hält die Österreicherin Olga Flor unserer Epoche den Spiegel von „MacBeth» vor. Shakespeares Drama um Machtgier, Schuld und Sühne dient als Hintergrundfolie für eine pechschwarze Satire auf das heranbrechende postdemokratische Zeitalter.

Georg Renöckl ⋅ «Strassenkinderhinterhalte» sind zur alltäglichen Gefahr geworden. Bei den häufig aufflackernden Unruhen kann schon einmal der eine oder andere Lynchmord vorkommen. China pickt sich gerade die besten Stücke aus Europas «Demokratiekonkursmasse». In den USA gibt es zwar noch «teetrinkende Republikaner» und Präsidentenwahlen, die Macht liegt aber längst in den Händen von Medienunternehmen.

Allzu fern wirkt sie nicht, die Zukunftsvision in Olga Flors Roman « Die Königin ist tot». Auch der Weg, der eine Frau in die Chefetage eines Medienimperiums führt, ist uns seit «Bunga Bunga» unangenehm vertraut: Ein – dummerweise von Überwachungskameras gefilmter – Blowjob im Fahrstuhl sichert der zielstrebigen Europäerin Lilly die Position an der Seite eines amerikanischen Medienmoguls namens Duncan. Spätestens hier wird der eine oder andere Leser hellhörig werden: Duncan heisst schliesslich auch der schottische König, der bei Shakespeare von einem gewissen Macbeth ermordet wird.

Pechschwarze Satire

Tatsächlich dient Shakespeares Drama um Machtgier, Schuld und Sühne als Hintergrundfolie für Olga Flors pechschwarze Satire auf das heranbrechende postdemokratische Zeitalter. Es geht darin nicht weniger grausam zu als im mittelalterlichen Schottland: Als Duncan der Ehe mit Lilly überdrüssig wird, sie durch Gattin Nummer fünf ersetzt und an einen seiner möglichen Nachfolger weiterreicht, erleidet er das Schicksal seines prominenten Namensvetters – bloss den stilvollen Dolch ersetzt bei seiner Ermordung ein banales Küchenmesser. Mit ihrem neuen Ehemann, der nun Duncans Platz einnimmt, wird Lilly nach der gemeinsam vollbrachten Tat in eine Spirale der Gewalt gezogen: Die vermeintlichen Mörder Duncans müssen zuerst in den Augen der Öffentlichkeit der Tat überführt und dann schnell eliminiert werden, wie in weiterer Folge die Rivalen im Kampf um die Macht. Auch das drohende Durchsickern der Wahrheit verlangt drastische Massnahmen.

Der Reiz des neuen Romans der Österreicherin Olga Flor, die mit «Kollateralschaden» (2008) für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde, beschränkt sich bei aller Lust am Spiel mit der Vorlage nicht auf ein blosses «Schlag nach bei Shakespeare». Dafür sind Sprache und Konstruktion des Romans zu raffiniert, die Hauptfigur zu faszinierend. Ich-Erzählerin Lilly hat auf ihrem zielstrebig verfolgten Weg ins Zentrum der Macht früh den Kontakt zu ihren Gefühlen gekappt und betrachtet diese nun aus sicherer Distanz, «wie interessante Tierpräparate». Sie versteht es, die Machtstrukturen in Duncans Reich rasch zu ihren Gunsten zu nutzen, verliert sich aber immer mehr in einer Parallelwelt oder vielmehr in mehreren gleichzeitig: Die Verschränkung von Haupthandlung, Rückblenden und «unausgeführten Vergangenheitsvarianten» im Konjunktiv wird nicht nur für den Leser immer unübersichtlicher, auch die Erzählerin findet bald nicht mehr aus dem Labyrinth von «Erinnerungsgeschichten» heraus, in dem sie ruhelos umherwandert.

Als Königinnenmantel hat Olga Flor ihrer anfangs zielstrebigen, später überforderten Hauptfigur eine passgenaue Sprache auf den Leib geschneidert. Sie ist geprägt von ungewöhnlichen Metaphern («Hochhauswurzelwerk», «Gegenwartsschaumkronen») und kalten, präzisen Beobachtungen, die nicht nur auf die Welt des Romans zutreffen: «[D]ass irgendwelche Leute in irgendeiner Mine verrecken oder beim Endverwerten unserer Abfallprodukte, um unser Leben zu finanzieren, das weiss man im Grunde und nimmt es hin, und ausserdem, sagt man sich, würden sie selbst es genauso machen.»

Kein Platz für Romantik

Für Mitmenschlichkeit, Freundschaft oder gar Romantik ist kein Platz mehr in der egozentrischen Epoche von Lilly und Duncan. Den Heiratsantrag macht Duncan seinem «Liftgirl» nicht persönlich, sondern durch einen seiner Anwälte. Nach der Scheidung betrachtet Lilly das Schicksal ihrer gemeinsamen Kinder als blosse «Feinheit» des Ehevertrags, in die sie sich nicht einmischt. Als nach Duncans Ermordung schliesslich alles darauf hindeutet, dass auch die Kinder dem brutaler werdenden Kampf um die Spitze zum Opfer gefallen sind, stuft die Ich-Erzählerin ihren Nachwuchs plötzlich auf den Rang einer ihrer vielen Vergangenheitsvarianten zurück: «Meine Kinder können es nicht sein. Schon deshalb, weil ich nie welche hatte.» Thema abgehakt.

Wo jede Art von Liebe hinfällig ist, bleibt als einzige zwischenmenschliche Alternative zum Kampf der blosse Sex beziehungsweise, um in der Sprache des Romans zu bleiben, das «Ficken». Immerhin das scheint recht gut und abwechslungsreich zu funktionieren. Auch ein Trost.

Olga Flor: Die Königin ist tot. Roman. Zsolnay-Verlag, Wien 2012. 224 S., Fr. 26.90.

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