Kraft durch Wut

Hier eine Sammelbesprechung (NZZ) der auf Deutsch erschienenen romans noirs von Dominique Manotti – meiner Ansicht nach die derzeit interessanteste „Krimi“-Autorin aus Frankreich. Auch für Krimi-Snobs einen Versuch wert!

 

Rabenschwarze Krimis aus Frankreich

Kraft durch Wut

Unter dem Pseudonym Dominique Manotti schreibt eine französische Wirtschaftshistorikerin rabenschwarze gesellschaftskritische Kriminalromane. Drei Neuerscheinungen bieten Anlass zur Entdeckung einer faszinierenden Autorin.
Georg Renöckl

Feuchte Joints, lauwarmes Dosenbier, Kommunen-Albtraum? Oder doch lieber Koks, Champagner und Designerloft? Nie sahen die Achtundsechziger so alt aus wie in den 1980er Jahren. Auch die ehemalige Revoluzzerin Agathe in Dominique Manottis Roman «Zügellos» hat längst die Zeichen der Zeit erkannt: Einst wollte sie den Geist des Pariser Mai als Guerillera in der Bretagne verbreiten, doch der Traum endete mit ihrer Vergewaltigung auf der Polizeiwache. Tempi passati. Zwanzig Jahre später ist Agathe Chefin der Presseabteilung eines expandierenden Versicherungskonzerns, der sich rechtzeitig zu Beginn des Immobilienhypes auf den Pariser Büromarkt spezialisiert hat und jetzt Geld im grossen Stil scheffelt.

Zimperlich darf man dabei nicht sein. Christian, ein Mitstreiter aus bewegten Jugendtagen, macht unterdessen im Elysée Karriere. Doch die coole neue Yuppie-Welt bekommt Risse: Christians Sohn wird als Dealer im Bois de Boulogne verhaftet, Agathes Chef ist in eine Betrugsaffäre verwickelt, die immer weitere Kreise zieht, das Auto eines alten Kumpans aus revolutionären Zeiten und heutigen engen Mitarbeiters wird in die Luft gesprengt – mit ihm an Bord. Ein ungewöhnlicher Kommissar leitet die Ermittlungen: Théo Daquin, der schwule Hüne mit Sinn für teure Kleidung, gutes Essen und mit dem Schlagring geführte Verhöre. Je tiefer Daquin in die Affäre um Immobiliendeals, kolumbianisches Kokain und gedopte Rennpferde vordringt, desto unerbittlicher wird der Privatkrieg, den ihm unsichtbare Widersacher liefern. Das schnelle Geld hat neue Spielregeln geschaffen, die auch für die Polizeiarbeit gelten.

Von der Uni in die Literatur

Die Frustration angesichts eines korrumpierten Systems, die sie ihren Ermittler in den achtziger Jahren erleben lässt, hat seine Erfinderin auch am eigenen Leib verspürt. Sie hiess damals noch gar nicht Dominique Manotti, sondern Marie-Noëlle Thibault, war Universitätsdozentin für Wirtschaftsgeschichte und Spitzengewerkschafterin. Als François Mitterrands Wahlsieg 1981 nicht den radikalen Wandel brachte, für den sie wie viele andere gekämpft hatte, fühlte sich Thibault verraten. Sie hatte unter anderem die Legalisierung der türkischen Immigranten erstritten, die damals die Textilindustrie im Sentier-Viertel in Schwung hielten, doch die neue linke Führungsriege setzte andere Prioritäten. Thibault verliess die Gewerkschaft.

Da ihr auch der Job an der Uni keine Freude mehr machte, wechselte die leidenschaftliche Kämpferin das Schlachtfeld. Unter dem Pseudonym Dominique Manotti setzte sie dem Aufbegehren der Pariser Türken ein literarisches Denkmal. «Sombre Sentier» hiess ihr Debüt von 1995, ein lupenreiner Roman noir von einer Härte, Rasanz und Dichte, die ihresgleichen suchen. Er machte die damals 50-Jährige auf einen Schlag bekannt.

Die zur Autorin gewordene Wissenschafterin arbeitete sich mit einer Serie von Romans noirs an den Mitterrand-Jahren ab: Auf «Zügellos» (1997 unter dem Titel «A nos chevaux» erschienen) folgten «Kop» (1998) und «Nos fantastiques années fric» (2001, dt. «Roter Glamour»). Pferde, Drogen, Fussball, Waffenhandel: In Manottis Augen ist die Ära Mitterrand eine Zeit des zu schnell und zu leicht verdienten Geldes, das Politik, Justiz und Exekutive korrumpiert und den Kampf um Recht und Wahrheit zum Anrennen gegen Windmühlen werden lässt.

Die Romane der ehemaligen Professorin faszinieren durch ausgeklügelte Plots und hohes Tempo. Wie ihr erster Kommissar Théo Daquin setzt sie Gewalt gezielt und damit sehr effizient ein, verzichtet auf Abschweifungen aller Art und bringt dadurch auf wenig Raum erstaunlich viel Handlung unter. Diese beruht auf akribischer Recherche: Bevor sich die Autorin Manotti an den Schreibtisch setzt, verbringt die Historikerin Thibault mehrere Monate in Bibliotheken und Archiven. So entstehen (er)kenntnisreiche Bilder der dunklen Seite der Macht in Frankreich als Hintergrund für die Krimihandlungen. Aufklärung der Machenschaften und die Bestrafung der Übeltäter zu erwarten, wäre freilich naiv: Belastende Zeugen werden immer wieder gerade noch rechtzeitig aus dem Weg geräumt, Prozesse im letzten Moment abgeblasen, Ermittler kurz vor der endgültigen Lösung von ihren Fällen abgezogen.

Konsequent und schonungslos hält Manotti ihrer Epoche einen Spiegel vor, der eine von Gier und Machtmissbrauch verzerrte Fratze zurückwirft: «Lorraine connection» (2006; dt. «Letzte Schicht») zeigt die von Premierminister Alain Juppé durchgezogene Privatisierung des Rüstungs- und Elektronikkonzerns Thomson als kriminelles Geschäft, dessen Profiteure auch über Arbeiterleichen gehen; in «Bien connu des services de police» (2010, dt. «Einschlägig bekannt») will ein nach Höherem strebender Innenminister durch hartes Durchgreifen in der Pariser Banlieue punkten. Er schickt dazu die BAC («brigade anticriminalité») vor, eine skandalumwitterte Spezialeinheit. Was die Sozialwissenschaft mittlerweile bewiesen hat: Übergriffe der BAC stehen tatsächlich am Anfang so gut wie aller gewalttätigen Unruhen in Frankreichs Vorstädten.

Ein Mord als Auftakt

Manotti, keine Anhängerin identifikatorischer Lektüre, wechselt ihr Romanpersonal im Lauf der Jahre immer wieder aus. Ihrem unverkennbaren Stil bleibt sie jedoch auch in den beiden weiteren Romanen treu, die seit Herbst in deutscher Übersetzung vorliegen. Gewohnt präzise, professionell und brutal ist etwa der Mord zu Beginn von «Die ehrenwerte Gesellschaft»: Zuerst wird das Nasenbein des Opfers zertrümmert, dann ein Handgelenk; ein Fausthieb verletzt innere Organe, schliesslich drückt die Schreibtischkante eine Schläfe ein.

Ein mustergültig ausgeführtes Verbrechen mit einem Schönheitsfehler: Es wurde gefilmt. Ein Hacker, der zum Tatzeitpunkt gerade Daten vom Rechner des Opfers kopierte, hatte die Notebook-Kamera aktiviert. Kompliziert wird die Angelegenheit, als die Identität des Ermordeten offenbar wird: Er war Polizist und ermittelte verdeckt bei der obersten Atombehörde Frankreichs. Bald sind nicht nur die Flics der «brigade criminelle» auf der Suche nach den Mördern und dem untergetauchten Zeugen, sondern auch andere Sondereinheiten der französischen Polizei. Wer glaubt, dass sie alle dasselbe Ziel verfolgen oder gar kollegial zusammenarbeiten, der kennt den Pariser Polizeiapparat nicht.

Dominique Manotti hingegen erweist sich in dem mit Co-Autor DOA («Death on arrival») verfassten Roman noir einmal mehr als Expertin für Verfilztes aller Art. Sie dröselt nicht nur das Geflecht an Parallelstrukturen und konkurrierenden Abteilungen auf, das die Pariser Polizei einem gordischen Knoten ähneln lässt, sondern auch ein kompliziertes Firmen- und Familiennetzwerk, das einige französische Clans an der Spitze der Gesellschaft zur Sicherung ihres politischen und wirtschaftlichen Einflusses über Jahrzehnte hinweg geknüpft haben. In seinem Zentrum steht ein ehrgeiziger rechter Finanzminister, der sich gerade anschickt, Staatspräsident zu werden. Ähnlichkeiten mit einem realen Vorbild sind weder zufällig noch unerwünscht.

Ein zweiter im vergangenen Herbst auf Deutsch erschienener Titel wirkt zunächst wie ein Bruch im Schaffen der Autorin: «Das schwarze Korps» (frz. «Le corps noir», 2004) ist ein historischer Kriminalroman, dessen Handlung im von den Nazis besetzten Paris spielt. Die Auseinandersetzung mit der weit zurückliegenden Epoche fügt sich allerdings nahtlos ins Werk der Autorin ein, als Schlussstein ihrer Beschäftigung mit der Mitterrand-Ära: Aus der zwischen Kollaboration und Widerstand hin und her gerissenen französischen Gesellschaft aus den Jahren von 1940 bis 1944 stammen noch Jahrzehnte später fast alle der von Manotti beschriebenen Seil- und Feindschaften innerhalb der Kaste der Wirtschaftsbosse und Spitzenpolitiker.

Der Roman rückt ein in Frankreich nach wie vor unangenehmes Thema in den Vordergrund: die freiwilligen französischen Helfershelfer von SS und Gestapo, die die nationalsozialistische Maschinerie am Laufen hielten. Während sich die Alliierten im Frühjahr 1944 von der Normandie aus in Richtung Hauptstadt vorarbeiten, fliesst dort der Champagner in Strömen. Prostituierte und Zuhälter machen den Umsatz ihres Lebens, in den Kellern quälen französische Gestapo-Schergen gefangen gehaltene Widerstandskämpfer. Getarnt als Inspektor am Sittendezernat, sammelt der Résistance-Mann Domecq Informationen über die Kollaboration französischer Unternehmer mit den deutschen Besatzern. Seine Teilnahme an den nur nach aussen hin eleganten Salons ist nicht weiter auffällig, und die wirklich grossen Geschäfte werden nun einmal dort abgeschlossen, wo der Champagner und die Kellnerinnen dazu gratis genossen werden können. Auch das ist eine Konstante im Werk Manottis, in deren Büchern sich die gegenwärtigen von den historischen Wirtschaftstreibenden in diesem Punkt nicht unterscheiden. Wie sehr sie damit richtig liegt, beweist längst nicht nur die Affäre DSK.

Nach der Vertreibung der Nazis werden dann alle bei der Résistance gewesen sein: Die echten Widerstandskämpfer, die Opportunisten und diejenigen, die besonders patriotisch handeln müssen, um nur ja keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Feine Unterschiede, die sich im Nachhinein oft schwer eruieren lassen – die Fundamente der französischen Nachkriegsgesellschaft wurden auf teilweise morastigem Grund errichtet.

Rache ist süss

Manottis Romanuniversum ist finster, doch blitzen neben Entladungen geballter Sinnlichkeit bei heftiger Liebe und deftigem Essen immer wieder auch utopische Momente auf, oder zumindest kurze, süsse Augenblicke der Rache: Ein im wahrsten Wortsinn machtgeiler Präsidentschaftskandidat blamiert sich in den Hinterzimmern von Nobelrestaurants durch frühzeitige Ejakulationen, während seine Frau eine Liaison mit dem von ihm gedemütigten Kommissar beginnt. Einer jungen Araberin aus der Banlieue gelingt die Flucht vor dem gewalttätigen Vater und der Aufstieg innerhalb der Geheimdienst-Hierarchie. Bereits der vielfach erniedrigte Vertreter der Sentier-Türken im Debüt von 1995 geht letztlich erhobenen Hauptes vom Platz, wie später die zunächst wegrationalisierten Arbeiter in der «Letzten Schicht» es tun. Realismus ja, Defaitismus nein – oder wie es Dominique Manotti im Vorwort von «Das schwarze Korps» als Devise formuliert, die ihr gesamtes Werk kennzeichnet: «Erzählen heisst Widerstand leisten.»

Dominique Manotti: Zügellos. Deutsch von Andrea Stephani. Argument-Verlag, Hamburg 2013. 256 S., Fr. 24.–. Dominique Manotti & DOA: Die ehrenwerte Gesellschaft. Roman. Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer. Assoziation A, Berlin 2012. 280 S., Fr. 21.90. Dominique Manotti: Das schwarze Korps. Roman. Aus dem Französischen von Andrea Stephani. Argument-Verlag, Hamburg 2012. 288 S., Fr. 27.90.

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