Autokorrektur

Kick-off zur Verkehrswende

So kann es nicht weitergehen. Ob einen nun die steigenden CO2-Emissionen aufregen oder die explodierenden Preise an den Zapfsäulen, eines steht fest: Unsere Mobilität muss sich verändern – da sind sich Autofahrerclubs, Menschenrechts- und Klimaaktivistinnen inzwischen einig. Neu ist nur die Dringlichkeit, die seit Putins Krieg auch Erstere auf einmal verspüren. 

 Den Befund teilt auch Katja Diehl, allerdings nicht erst seit Ende Februar. Die 49-jährige PR- und Marketing-Expertin aus Hamburg hat sich in den letzten Jahren als Podcasterin („SheDrivesMobility“) und unter dem Twitter-Namen „kkklawitter“ (über 35.000 Follower) als „Influencerin in Sachen Verkehrswende“ etabliert. Sie berät die österreichische Verkehrsministerin und deren baden-württembergische Amtskollegen. Als „Zukunftsaktivistin“ fordert Diehl in sozialen Medien und nun auch zwischen Buchdeckeln eine Verkehrswende unter dem Hashtag #Autokorrektur. Deren Notwendigkeit begründet sie aber nicht mit der Klimakatastrophe oder den menschenverachtenden Diktaturen, die uns das Öl liefern – jedenfalls nicht an erster Stelle. Diehls #Autokorrektur ist vor allem ein Plädoyer für eine lebenswertere Gesellschaft. 

Diese entsteht nach ihrer Überzeugung, wenn Mobilität nicht mehr autozentriert gedacht wird. „Träume ich zu groß oder die anderen zu klein? Nach meiner Vision befragt, könnte ich sehr lange begeistert über das Bild sprechen, was [sic] ich sehe: spielende Kinder mitten auf der Straße, Radfahrer:innen, Spaziergänger:innen, Rollstuhlfahrende und Menschen mit Rollatoren, die mal für einen Schwatz stehen bleiben, bevor sie ihr Gemüse kaufen, Brot besorgen, in die Kita rollern oder ins Atelier gehen.“ 

Ein wenig erinnert Diehls Enthusiasmus ja an die Renderings, mit denen Neubauprojekte beworben werden: Dort scheint auch immer die Sonne und alle haben gerade Urlaub. Doch geht es der Autorin und Aktivistin nicht um die Behübschung privilegierter Innenstadtviertel, sondern um ein wesentlich radikaleres Umdenken. „Automobilität ist männlich ist dominierende Mobilität“, lautet ihre Formel für den Ist-Zustand. Unser Verkehrssystem ist demnach für eine Gruppe optimiert, die man mit den Adjektiven „männlich, weiß, cis, heterosexuell, wohlhabend“ beschreiben kann. Für alle anderen gibt es „Flächenungerechtigkeit, Luftungerechtigkeit, Lärmungerechtigkeit“. 

 Diehl kritisiert nicht nur den immensen Flächenbedarf autozentrierter Verkehrsorganisation – was wenig Neuigkeitswert hätte -, sondern analysiert vielmehr den öffentlichen Raum aus der Perspektive derjenigen, die derzeit daraus verdrängt werden. Ihre zentrale Forderung „Jede:r sollte das Recht haben, ein Leben ohne eigenes Auto führen zu können“ ist unter den derzeitigen Bedingungen oft kaum umsetzbar, wie sie durch Interviews zeigt. Mit dem Berufs- und Familienleben inkompatible Öffi-Intervalle auf dem Land, für den Rollstuhl ungeeignete Gehsteige oder auch die Angst vor sexuellen oder rassistischen Übergriffen zwingen viele Menschen wohl oder übel ins Auto. 

 „Und wer mir sagen möchte, dass Zeit im Auto gute Zeit ist, der Person werde ich leicht zweifelnd in die Augen blicken“, so die Autorin, die ihre Thesen im Social-Media-typischen Plauderton vorträgt. Leider nahm es auch das Lektorat ziemlich locker, was den Text über weite Strecken seltsam unfertig wirken lässt. Es fällt schwer, Kapitalismuskritik ernst zu nehmen, wenn sie so daherstolpert: „Eine Industrie, die riesige Zerstörungen erzeugt, weil sie sich an einem Kapitalismus orientiert, der sich an falschen Maßstäben wie dem des Bundesinlandsproduktes [sic] oder der Dividenden für Aktionäre bindet, wird in unserer Gesellschaft als ‚erfolgreich‘ kategorisiert.“ Dass #Autokorrektur zum „Kick-off einer Gesellschaft“ wird, „die gemeinsam eine attraktive, lebenswerte und klimafreundliche Mobilitätszukunft für alle baut“, ist dieser freilich dennoch zu wünschen.

Georg Renöckl in Falter 11/2022 vom 18.03.2022 (S. 39)

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