Wien und der Grant

Etwas Zeitloseres habe ich noch nie geschrieben: Bei seinem Erscheinen im Falter war der Artikel schon ein Jahr alt, stimmte immer noch, und das wird wohl noch länger so bleiben…

INTEGRATION DURCH GRANT

Eben wurde Wien zur siebtunfreundlichsten Stadt der Welt gewählt. Sind die Wiener wirklich so grantig, und wie gehen Zuag’raste damit um?
ER K UN D UN G: GEORG RENÖCKL STADTLEBEN, FALTER 48/18 VOM 28.11.2018

 

Wie man in Wien mit Unbekannten ins Gespräch kommt? „Das ist ganz einfach“, erklärt Thomas Schäfer-Elmayer, Wiens oberste Instanz für Zwischenmenschliches aller Art. „Sie stellen sich an eine Bushaltestelle und beginnen über die Wiener Linien zu schimpfen. Und schon schimpfen alle mit.“ Nichts verbinde die Wiener so sehr wie das kollektive Matschkern und Raunzen -der typische Wiener Grant eben. Die Mitglieder der Expat-Plattform InterNations.org, die Wien wie im Vorjahr wieder zu einer der unfreundlichsten Städte der Welt gewählt haben, beweisen also einen hohen Grad an Integrationsbereitschaft, frei nach dem Banksy-Spruch: „The grumpier you are, the more assholes you meet.“

Nun, immerhin verschlechterte sich Wien in der Spezialdisziplin „Unfreundlichkeit der Einwohner gegenüber ausländischen Mitbürgern“, in der Österreichs Hauptstadt voriges Jahr sogar den Weltmeistertitel abräumte, um sechs Plätze und landete hinter Charme-Metropolen wie Stuttgart oder Riad nur auf Rang sieben der weltweit unfreundlichsten Städte. In der Kategorie „Unfreundlichkeit der Einheimischen im Allgemeinen“ reicht es nur für Rang neun. Und natürlich kann man die Repräsentativität der Umfrage anzweifeln: Von den laut Betreibern 30.000 auf der Plattform angemeldeten Wiener Expats füllten nur etwa zweihundert den entsprechenden Fragebogen aus.

 

Dem gelernten Wien-Menschen ist dennoch klar: Ganz daneben liegen die matschkernden Expats wohl nicht. Vom „Nieselregen einer chronisch schlechten Laune“ sei das Wiener Gemüt getrübt, schreibt Gerhard Roth als einer von zahllosen Literaten, die sich seit Generationen an den Untiefen der Wiener Seele abarbeiten. Man muss aber längst nicht so tief schürfen wie einst Hilde Spiel, die sich in den „unterirdischen Kanälen und Katakomben, in denen das Böse und Brutale braut“, auf die Suche nach dem Ursprung der wienerischen „Dämonie der Gemütlichkeit“ machte. Es genügt, sich ein bisschen im Bekanntenkreis umzuhören. Etwa, was Eltern von Mitschülern der Kinder, die einen irgendwie fremdländischen Teint oder Akzent haben, im Alltag so zu hören bekommen. Und doch beteuern viele auf Zeit oder auf Dauer Zugewanderte, wie sehr sie die Stadt trotzdem lieben, und sind auch in diesem Punkt nicht von den hier Aufgewachsenen zu unterscheiden.

Der aus Deutschland stammenden Journalistin Maria von Usslar, die seit dem Studium in Wien lebt, vertraute ein Fiakerkutscher treuherzig an, er sei bewusst unfreundlich zu Deutschen, „weil die erwarten das so“. Eine längst heimisch gewordene Amerikanerin bemüht sich, es richtig zu finden, dass ihre Kinder von Unbekannten in der Straßenbahn schroff zurechtgewiesen werden. „Die Kinder sollen ja Manieren lernen.“

 

Schwerer zu überwinden ist für viele Westeuropäer die Beklemmung, die sie empfinden, wenn sie beim Überqueren einer Straße bei Rot von an der Gehsteigkante strammstehenden Einheimischen durch vernichtende Blicke oder auch verbal gemaßregelt werden. Woanders sieht man das nicht so eng, doch in Wien schätzt man Regelverstöße nicht, wenn sie allzu offensichtlich stattfinden. „Locker ist es hier nicht immer“, fasst es Dardis McNamee zusammen, die Chefredakteurin des englischsprachigen Wiener Stadtmagazins Metropole. Dabei liebt sie die oft bösartig-spöttische Wiener Ironie, die sie an New York erinnert, und schwärmt über eine Stadt, die es Expats im Alltag eigentlich leicht macht. Halte man sich an drei Regeln, ecke man kaum an: Pünktlich sein, sich ausführlich entschuldigen und umständlich bedanken. Dann funktioniere alles wie am Schnürchen, nur der Umgangston bleibe oft grob. „Man muss schon auch eine dicke Haut entwickeln.“

Dass man sich in Wien als „Fremder“ nicht gleich umarmt fühlt, bestätigt Eugene Quinn, der mit seinen „Vienna ugly tours“ stadtbekannt geworden ist. Er hat seine Berufung darin gefunden, die unsichtbaren Grenzen zu verwischen, die Einheimische und Touristen oft voneinander trennen. Bei sogenannten „Vienna Coffeehouse Conversations“ lässt er Wiener und Gäste gemeinsam ein von Marcel Proust inspiriertes Fragemenü abarbeiten.

Wiener tun sich schwer mit dem Small Talk, weiß Quinn. Eine gewisse Gehemmtheit sei oft spürbar, ein Unwohlsein im Umgang mit Fremden sowie die Angst, aufzufallen. „Die Stadt ist voll mit Zuschauern, aber es fehlt an Darstellern.“ Immer wieder muss Eugene für seine Wahlheimat in die Bresche springen: Touristen mit dunkler Hautfarbe glauben manchmal, Opfer von Rassismus geworden zu sein -dabei war es doch nur der ganz normale Wiener Grant, mit dem sie bedient wurden (oder eben nicht).

„Vieles hat sich in Wien in den letzten Jahrzehnten zum Positiven verändert“, meint dazu Thomas Schäfer-Elmayer, „nur die Servicequalität nicht immer.“ Er sieht die Expats-Umfrage als sportliche Herausforderung. Es sei wichtig zu wissen, woran man arbeiten muss, schließlich gelte: „Gute Laune gehört zum guten Benehmen.“

Was aber tun, wenn einem die schlechte Laune anderer die eigene verdirbt? Dardis McNamee hat eine -ebenfalls urwienerische -Wunderwaffe dagegen entdeckt: die Maschekseite, wie man in bester kakanischer Tradition einen Weg nennt, der zwar wortwörtlich „von hinten“, dafür aber womöglich verlässlicher ans Ziel führt als die direkte Konfrontation. „Man muss indirekt sein und dem Gegenüber einen Ausweg lassen“, erklärt McNamee. Das funktioniere sogar bei notorisch grantigen Kaffeehaus-Kellnern.

Als sie von einem solchen einmal eine geschlagene halbe Stunde lang ignoriert wurde, ging sie an die Schank, entschuldigte sich höflich und versicherte dem Herrn Ober ausführlich ihr vollstes Verständnis angesichts seiner stressigen Lage. Ob es ihm etwas ausmache, wenn sie -wo sie nun schon einmal hier sei -dennoch gleich einen Kaffee bei ihm bestelle und diesen dafür selbst mit an den Tisch nehme? Die Reaktion: „Er ist geschmolzen.“ Die Wahlwienerin hat nicht nur ihren Kaffee bekommen, sondern auch ein Klischee enttarnt: Der legendäre Wiener Grant, er ist doch nur ein stummer Schrei nach Liebe.

 

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