Das hat für etwas Verwirrung im Standard-Forum gesorgt: Anne Hidalgo weiß als international gut vernetzte Pariser Bürgermeisterin, dass Frauen weltweit jahrzehntelang mit Umwelt-Ressorts versorgt und dadurch von „wichtigeren“ Aufgaben ferngehalten wurden. Sie hat daher ein Netzwerk gegründet, in dem diese erfahrenen Frauen ihr Wissen an jüngere weitergeben können. Was daran sexistisch sein sollte, erschließt sich mir nicht, aber trotzdem hier noch einmal ganz deutlich: Das heißt nicht, dass Männer die schlechteren oder Frauen die besseren Menschen sind…
Klimakrise: Lasst die Frauen machen!
Lange wurden Frauen in der Politik mit den scheinbar nebensächlichen Umweltagenden abgespeist. Heute haben mehr Großstädte denn je Frauen an der Spitze. Gut für das Klima
Frauen sind die ersten Opfer des Klimawandels. Die Welt geht schließlich nicht in einem großen Knall unter, sondern schön der Reihe nach: Zuerst sind diejenigen dran, die zwar am wenigsten für die Überhitzung des Planeten verantwortlich sind, sich aber auch am schlechtesten gegen ihre Folgen wehren können.
In den Ländern des globalen Südens, denen jetzt schon das Wasser bis zum Hals steht, sind Frauen ganz unten auf der sozioökonomischen Statusleiter zu finden. Sie sind ärmer, haben einen schlechteren Zugang zu Bildung und zu materiellen Ressourcen und leiden daher ungleich stärker unter den zunehmend menschengemachten Naturkatastrophen als Männer.
Es sind aber auch die Frauen, die weltweit die Proteste für den Klimaschutz anführen: sehr junge wie Greta Thunberg, aber auch ältere wie US-Ikone Jane Fonda. Letztere lenkt durch ihre regelmäßigen Verhaftungen wegen illegaler Demonstrationen die Aufmerksamkeit auf die fehlende Klimagerechtigkeit. Auch Alexandria Ocasio-Cortez, die so brillante wie toughe Zukunftshoffnung der US-Demokraten und jüngste Abgeordnete des Repräsentantenhauses, zählt zu den prominenten weiblichen Gesichtern der Klimabewegung. Im Oktober hielt die 30-Jährige eine bewegende Abschlussrede beim Treffen des Netzwerks C40 Climate Leadership Group, einem Zusammenschluss von Weltmetropolen im Kampf gegen die Klimakrise.
Nicht nur die Schlussrednerin bei diesem Treffen der mächtigsten Bürgermeister der Welt, die für mehr als 700 Millionen Menschen und ein Viertel des weltweiten BIP stehen, war eine Frau: Auch das einflussreiche Netzwerk selbst, das unabhängig von den oft träge und erratisch agierenden Nationalstaaten an rasch umsetzbaren Klimalösungen arbeitet, wird immer weiblicher. Seit 2016 ist die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo Präsidentin des Städtenetzwerks. Zu Beginn ihrer Präsidentschaft hatten nur vier C40-Städte eine Frau als Bürgermeisterin. Heute sind es 21, darunter Paris, Tokio, Washington, Freetown, Mexiko-Stadt, Barcelona, Sydney, Melbourne und seit kurzem auch Bogotá.
Wissensvorsprung in Zukunftsfragen
Der wachsende Einfluss von Frauen macht sich aber nicht nur in der ersten Reihe in den Städten bemerkbar. Jahrzehntelang wurden Frauen in der Politik weltweit mit den scheinbar nebensächlichen Umweltschutzagenden betraut; oft, um sie von entscheidenden Ressorts fernzuhalten. Heute verfügen diese Frauen über einen Wissensvorsprung in der zentralen Zukunftsfrage der Menschheit.
Anne Hidalgo, die als Frau und Migrantin die Sackgassen auf dem Weg nach oben kennt, gründete ein Netzwerk im Netzwerk, die Initiative Women4Climate. Politikerinnen, Wissenschafterinnen, Unternehmerinnen und Studentinnen arbeiten darin weltweit in hunderten Mentorship- und Forschungsprojekten zusammen, um das von Frauen erarbeitete Wissen zu bündeln und weiterzugeben.
Junge und erfahrene Forscherinnen und Unternehmerinnen entwickeln im Rahmen des C40-Netzwerks gemeinsam nachhaltige Lösungen in Bereichen wie Stadtplanung, Modeindustrie, Lebensmitteltechnologie oder Solarenergie, sie arbeiten an einer plastikfreien Gesellschaft, an leistbaren Passivhäusern aus Fertigteilen, biologischen Verpackungsmaterialien oder an effizienten Begrünungsmaßnahmen mit lokalen Pflanzen. Sie leben und arbeiten in Tel Aviv, Sidney, Paris, Addis Abeba, London, Quito, Vancouver oder Aix-en-Provence.
Frauen geben Wege vor
Isoliert betrachtet mag es sich dabei um hunderte kleine Maßnahmen mit lokaler Wirkung handeln. Doch dank des weltweiten Netzwerks bleiben sie nicht isoliert. Die Zusammenschau zeigt: Frauen sind nicht mehr „nur“ die Opfer oder diejenigen, die sich um ihre Familien oder um das Aufräumen nach der Katastrophe kümmern. Sie stellen nicht mehr „nur“ die Mehrheit der Protestierenden bei Fridays for Future oder bei Klimastreiks. Immer häufiger sind sie es, die eine faszinierende und vor allem inspirierende Landkarte möglicher und gangbarer Wege aus der hausgemachten Katastrophe vorgeben. (Georg Renöckl, 12.11.2019)