Zu Turrinis 70er in der NZZ:
Peter Turrini wird 70
Die vielen Geburtstage des Peter T.
26.9.2014, 05:30 Uhr
Normalsterbliche kommen einfach so auf die Welt, bei Künstlern ist die Sache manchmal komplizierter. So erzählt Peter Turrini, auch sonst kein Freund falscher Bescheidenheit, gleich fünf einander widersprechende Versionen seiner Geburt, so «dass sich nicht einmal der Anfang meines Lebens verifizieren lässt». Dazu kommen noch eine Art Wiedergeburt in der Sterbekammer eines Krankenhauses, wo er als Baby nach einer Vergiftung gelandet war, die als Geburtserlebnis empfundene Entdeckung des Schreibens in der Pubertät und schliesslich der 21. Januar 1971, als ein neuer Skandalautor auf den Brettern des Wiener Volkstheaters geboren wurde: Es war der Abend der Uraufführung des Stückes «Rozznjogd», das mit dem gewaltsamen Tod zweier Aussenseiter auf einer Müllhalde endet. Die Vorstellung ging in einen Tumult über. Turrini: «Ich stehe da oben, schaue in diesen Hexenkessel und weiss nicht, was ich tun soll. Von der Seitengasse schreit der Regisseur Bernd Fischerauer, ich solle endlich abgehen, aber ich stehe da und rühre mich nicht. Ich bin am Ziel, am Theater.»
Empörte bis hysterische Reaktionen
Der Rest ist (Literatur-)Geschichte. In «Sauschlachten» (1972) führte Turrini die Grausamkeit der Familien- und Dorfgemeinschaft rund um einen grunzenden Bauernsohn vor und festigte seinen Ruf als junger Wilder. Um nicht zwischen «Prestigezwang und Abonnentenmüdigkeit» aufgerieben zu werden, wechselte er wenig später das Medium: Zwischen 1976 und 1980 zeichnete er in der Fernsehserie «Alpensaga» die Geschichte eines oberösterreichischen Dorfes im 20. Jahrhundert nach, fernab von Heimatfilm-Klischees, dafür auf der Basis marxistischer Geschichtsschreibung.
Empörte bis hysterische Reaktionen auf sein Schaffen blieben ihm gewiss. Gut so, schliesslich schöpfte Turrini auch daraus immer wieder Kraft und Inspiration. So wurde er nach seiner Arbeiter-Tragödie «Die Minderleister» (1988), in der ein wegrationalisiertes Arbeiterpaar durch pornografische Selbstvermarktung zu überleben versucht, von einer Frau am Telefon wüst beschimpft. Er habe sie getroffen und ihr zugehört, erzählt Turrini, und so entstand eine der Figuren seines Debüts am Burgtheater, «Tod und Teufel» (1990). Es war der nächste programmierte Skandal, in dessen Szenenfolge ein Landpfarrer den verschlungenen Wegen der Sünde nachspürt und schliesslich in einer Welt voll Sex, Drogen und Gewalt einen freiwilligen Kreuzestod stirbt.
Artig und unterhaltsam
Die Vermischung von Sexualität und Religion, das Engagement für am Kapitalismus Scheiternde sowie ein Hang zu verstörender Drastik sind einige der Ingredienzien, die Peter Turrinis Stücke unverwechselbar machen. Über fünfzig Theaterstücke, Drehbücher, Hörspiele, Opernlibretti, Lyrik- und Prosabände hat er seit «Rozznjogd» veröffentlicht. Dem Vorwurf des Gesinnungskitsches begegnet der Autor stets mit dem Hinweis, dass die Kunst auf den schockierenden Zustand der Welt eben angemessen reagieren müsse.
Seine Heimstätte hat der einstige Bürgerschreck, der stets einen «Rucksack voll Heimaterde» mit sich trägt, vor Jahren im gutbürgerlichen Theater an der Josefstadt gefunden. Dort wird er nun auch gefeiert: «C’est la vie» lautet der lapidare Titel des Stücks, das Turrini sich selbst und seinem Haustheater zum Geburtstag schenkt. Die Bühne ist ein mit Versatzstücken aus dem Leben des Autors vollgestopftes Regal, fünf Schauspieler sprechen in 93 kurzen Szenen autobiografische Texte des Geburtstagskindes. Das Programm des Abends schnurrt artig, unterhaltsam und ohne böse Überraschungen dahin, der Soundtrack ist angenehm. Nur die alte Wildheit des Bühnenberserkers liess sich offenbar nicht geburtstagstauglich verpacken, sie kommt an diesem Abend nicht auf den Gabentisch. Schade.
Einen Turrini dürften solche Einwände nicht weiter erschüttern: «Manchmal werde ich bejubelt, manchmal ausgepfiffen. Was soll man davon halten? Am besten ist es, man phantasiert weiter und schreibt das nächste Stück.»
Peter Turrini: C’est la vie – Eine Revue. Theater in der Josefstadt: www.josefstadt.org. Nächste Termine: 26. 9., 13. 10., 27. 10., 20. 11.