Wien 1873: Viel Größe, (ein) wenig Wahn

Noch läuft die Ausstellung über das „Experiment Metropole“ im Wien-Museum – Hier die Besprechung in der NZZ: 

 

Die Wiener Weltausstellung von 1873

Viel Grösse und ein wenig Wahn

Georg Renöckl 26.8.2014, 11:30 Uhr
Das Wien, von dem heute die Touristenmassen träumen, hat es im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts tatsächlich gegeben – als boomende Metropole, welche die moderne Lust an der Selbstdarstellung entdeckte. Höhepunkt war die vom Pech verfolgte, nichtsdestoweniger aber bemerkenswerte Weltausstellung von 1873.

Die einstige Vormachtstellung Wiens ist heute nur noch als gelegentlich ausbrechender Phantomschmerz erlebbar, der entweder in der sattsam bekannten Formel von der «Welthauptstadt der Musik» sublimiert wird oder sich in chauvinistischen Krampfhandlungen entlädt – etwa, wenn am Wiener Flughafen Ankommende auf zahllosen Plakaten darauf hingewiesen werden, wie «worldwide famous» hierzustadt alles Mögliche ist, vom Tierpark bis zum Schnitzel. Gut, dass man das gerade noch rechtzeitig erfährt.

Eine der Wurzeln dieses Phänomens legt das Wien-Museum frei: «Experiment Metropole» lautet der schöne Titel der dort gerade laufenden Ausstellung. Es geht darin um die Zeit um 1873, als Wien als erste Stadt nach London und Paris eine Weltausstellung ausrichtete und mit den Konkurrenten nicht nur gleichziehen, sondern diese sogar übertreffen wollte. Die Ausstellungsfläche im Prater war fünfmal so gross wie bei der Pariser Vorgängerveranstaltung, 14 Millionen Besucher wollte Organisator Wilhelm Schwarz-Senborn nach Wien locken. Zentrum und Herzstück der Schau war die prachtvolle, vom Architekten Carl von Hasenauer errichtete «Rotunde», der damals grösste Kuppelbau der Welt mit 108 Metern Durchmesser und Platz für 27 000 Menschen.

Das richtige Projekt zur richtigen Zeit

Drei Jahre Vorlaufzeit benötigte man für das Mammutprojekt. Erst im Mai 1870 verlautbarte Kaiser Franz Josef: «Ich genehmige, dass die Abhaltung einer im Frühjahre 1873 zu eröffnenden internationalen Ausstellung von Erzeugnissen der Landwirtschaft, der Industrie und der bildenden Künste in Wien vorbereitet werde.»

Das Timing war denkbar straff, hielt aber im Grossen und Ganzen. Für das damalige Wien war die Weltausstellung schlicht das richtige Projekt zur richtigen Zeit: Die Stadt wurde vom Gründerfieber gebeutelt, sie erlebte einen Um- und Aufbruch, wie er umfassender nicht hätte sein können. Mit der Ringstrasse verpasste sie sich endlich den grossen, eleganten Boulevard, wie ihn auch andere europäische Hauptstädte hatten. Das zu Geld gekommene Bürgertum kämpfte um mehr Macht, Migrantenströme aus den Kronländern veränderten die demografische Zusammensetzung Wiens nachhaltig. Technik und Wissenschaft triumphierten: Die vormals schöne blaue Donau, die ihr malerisch mäanderndes Flussbett freilich viel zu oft verlassen hatte, wurde radikal begradigt, die prekäre Trinkwasserversorgung verbessert, der öffentliche Verkehr ausgebaut, der Zentralfriedhof errichtet – wenn auch «das Projekt einer pneumatischen Leichenbeförderung nach Art der Rohrpost» fallengelassen wurde. Die Wiener Medizinische Schule erlangte Weltruhm. Es war die hohe Zeit der Operette und ihrer Stars, des Walzers, der absurd aufwendigen Damenmode, des «kakanischen» Imperialismus, der erstmalig diskutierten «Frauenfrage», der zart sich regenden ersten Umweltschutz-Bestrebungen, der aufkommenden Sozialdemokratie und des beginnenden Deutschnationalismus.

Pech ohne Ende

Kaum zu glauben, dass all diese Aspekte einer derart handlungsprallen Epoche Platz in einer Ausstellung finden. Doch selbst wenn man sich da und dort mehr Tiefe wünschen könnte, gelingt es Wolfgang Kos in seiner letzten grossen Schau als Direktor des Wien-Museums eindrucksvoll, ein plastisches Bild dieser faszinierenden Epoche und ihres Lebensgefühls entstehen zu lassen. –Pech hatten hingegen die Ausstellungsmacher von 1873: Vor der Eröffnung am 1. Mai verwandelte Dauerregen das Ausstellungsgelände in ein Sumpfgebiet, dann kam es am 9. Mai zum grossen Börsenkrach, der die Euphorie der Gründerzeit jäh in die Depression schlittern liess. Schliesslich brach in Wiens Elendsquartieren auch noch die Cholera aus. Bei allen Anstrengungen der Organisatoren reichte es lnur zu einer zwiespältigen Bilanz: «Finanzdesaster und Imagegewinn», fassen die Ausstellungsmacher von 2014 lakonisch trocken zusammen. Ein Schuldenberg blieb zurück, sieben Millionen Besucher erfüllten die hochgesteckten Erwartungen nur zur Hälfte. Dabei bekamen die trotz allen Hindernissen Angereisten Grossartiges zu sehen.

Dank dem damals gerade einsetzenden Siegeszug der Fotografie lassen sich auch heute noch bei der Diashow «Gang durch die Weltausstellung» die Opulenz und die gekonnte Inszenierung der Ausstellung erleben, deren Ästhetik an die grossen Warenhäuser und Museen des 19. Jahrhunderts erinnert. Auch ein Blick vom Dach der 1937 abgebrannten Rotunde, eines der vielen verlorenen Wahrzeichen Wiens, lässt sich im Nachhinein werfen. Österreich-Ungarn präsentierte sich damals so gar nicht als das morsche, dem Untergang geweihte Gebilde, als das es nur kurze Zeit später beschrieben werden sollte, sondern als pulsierender Wirtschafts- und Kulturraum auf der Höhe seiner Zeit. Der Status von wahren Metropolen wie London oder Paris blieb freilich in unerreichbarer Ferne, auch das wurde im Zuge der Ausstellung klar.

Immerhin hat man es einmal probiert. Die geplante zweite Wiener Weltausstellung, die 1995 gemeinsam mit Budapest hätte abgehalten werden sollen, wurde hingegen bei einer Volksabstimmung abgelehnt. Vielleicht war es einfach verlockender, vergangenem Glanz nachzutrauern.

Experiment Metropole – 1873: Wien und die Weltausstellung. Bis 28. September 2014. Wien-Museum; www.wienmuseum.at.

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