Wir arbeiten mehr und lieben weniger

Hier mein Falter-Interview mit Marc Brost und Heinrich Wefing, den Autoren des Buches „Geht alles gar nicht“.

„Wir arbeiten mehr und lieben weniger“

Zwei Wutväter haben ein Buch über die Unvereinbarkeit von Familie, Liebe und Karriere geschrieben

Das Buch ist über weite Strecken weniger ein Lamento über die Schwierigkeiten des Vaterseins – an dessen beglückender Dimension die Autoren keinen Zweifel lassen – als vielmehr eine geharnischte Kritik am herrschenden Wirtschaftssystem: „capitalism kills time“ und „capitalism kills love“. Nur: Gibt es einen Ausweg aus dem derzeit allgegenwärtigen „Stress, Stress, Stress“? Der Falter hat mit den Berliner Wutvätern gesprochen.

Falter: Herr Brost, Herr Wefing, Sie beide bezeichnen sich als Vertreter der „Generation Vater“, die viel mehr Zeit mit ihren Kindern verbringt, als Väter das je zuvor gemacht haben. Gleichzeitig klagen Sie darüber, dass diese Zeit viel zu wenig ist. Wie kommt das?

Marc Brost: Wir sind nicht nur die „Generation Vater“, wir sind auch die „überforderte Generation“ – ein Begriff, den der Soziologe Hans Bertram geprägt hat. Wir sind die erste Generation, die mit voller Wucht von der Globalisierung betroffen ist. Wir sind die erste Generation, die die Folgen der Digitalisierung erlebt, als Terror der ständigen Erreichbarkeit. Wir sind die erste Generation, die wirklich Gleichberechtigung zu leben versucht. Das bedeutet, dass unser Leben ganz anders organisiert werden muss. Zeitforscher haben herausgefunden, dass wir so wenig schlafen wie keine Generation vor uns, schneller essen und hektischer zu Fuß durch die Innenstädte laufen als jede Generation vor uns. Wir arbeiten mehr und lieben weniger. Wir haben es mit großen Veränderungen zu tun, die jeder von uns, egal in welcher beruflichen Position und in welchem Alter, erlebt. Aber die Generation der Mitte 20- bis Ende 40-Jährigen spürt das ganz besonders, weil da eben noch die Elternschaft oben draufkommt.

Sie schreiben von „Radarmenschen“, die sich ständig im Wettbewerb befinden. Sind nicht auch der eigene Perfektionismus und ein gewisser Narzissmus schuld am Gefühl vieler Eltern, überfordert zu sein?

Heinrich Wefing: Natürlich hören wir das immer wieder, nach dem Motto: Wenn euch alles zu viel ist, dann tut halt weniger. Trefft ein paar harte Entscheidungen, und dann wird alles ganz einfach …

was Sie bestreiten.

Wefing: Sicher spielen auch Narzissmus und Perfektionismus eine Rolle, aber das ist ganz sicher nicht das Hauptproblem. Viele Familien, viele Alleinerziehende können gar nicht weniger arbeiten, die brauchen das Geld. Das ist das eine. Das andere, und das ärgert uns manchmal schon ein bisschen: Diese Neigung, eine gesellschaftliche Problematik zu individualisieren und auf den Einzelnen abzuladen, das ist schon Teil des Problems. Jeder Einzelne kann etwas beitragen, klar. Aber wir müssen politisch, gesellschaftlich, soziologisch etwas verändern, sonst kommt das nicht voran.

Brost: Wir haben es mit einer beispiellosen Verdichtung von Zeit zu tun, die gar nicht bewältigbar ist, und mit einem beispiellosen ökonomischen Druck. Wenn es dann heißt: Früher ging’s doch auch, dann sagen wir: Ja, vielleicht, aber da hat auch das Gehalt eines 30-Jährigen dafür gereicht, um eine Familie zu ernähren und noch etwas zu sparen. Heute brauchen Familien mit Kindern zwei Einkommen, um durchzukommen. Zwei Kinder kosten heute so viel, wie in den 60er-Jahren vier Kinder gekostet haben.

Sie vermissen Vorbilder fürs zeitgemäße Vatersein, zitieren aber auch einen Text, in dem es heißt „Alles Lügner, die Superdaddys“. Warum fühlen wir uns angesichts von perfekten Vorzeigevätern gleich unwohl?

Brost: Das eine ist: Es gibt für uns tatsächlich keine funktionierenden Rollenvorbilder mehr. Wir können niemanden fragen, wie man es machen könnte: unsere Väter nicht, denn die haben ganz anders gelebt, unsere Chefs nicht, und auch die Politiker sind keine Vorbilder. Das führt zu Unsicherheit. Dazu kommt: Unsere Gesellschaft belügt sich selbst – da kommt die Generation Facebook ins Spiel, wunderbare Sonnenuntergänge, wunderbar gekleidete Menschen, tolles Essen an langen Tafeln, sodass man immer denkt: „Huch, bei den anderen ist alles prima, nur bei mir selbst nicht.“ Das sorgt für eine gewisse Sprachlosigkeit. In einer Gesellschaft, die so sehr auf Funktionieren angelegt ist, möchte man Schwächen nicht eingestehen.

In ihrem 2007 erschienenen Buch „Die Schule der Frauen“ schreibt Ihre Kollegin Iris Radisch, dass es kein funktionierendes Familienmodell mehr gibt. Acht Jahre später und aus Vätersicht kommen Sie zu einem ganz ähnlichen Befund.

Wefing: Klar, das Problem haben Frauen schon lange. Da wird wahnsinnig viel Energie reingesteckt, um einem Ideal hinterherzuhecheln, aber es gelingt nie. Ideale erzeugen einen Erwartungsdruck, und da glaubt man dann, nur ich schaffe das nicht, das ist meine persönliche Schuld. Als Männer und Frauen, Väter und Mütter sind wir jetzt dabei, ein großes gesellschaftliches Problem zu lösen, eben die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen. Auf dem Weg dahin entstehen aber neue Probleme, und wir versuchen darauf aufmerksam zu machen.

Brost: Gerade weil es für Männer und Frauen gleichermaßen ein Problem ist, kriegt es jetzt vielleicht den Rückenwind, den es braucht, um da etwas Neues hinzubekommen. Wir sind vielleicht eine Generation des Übergangs, und unsere Kinder werden vielleicht neue Modelle entwickeln.

Aber die vorhandenen Lösungsvorschläge kritisieren Sie. Einer davon ist in Deutschland das Modell der Familienarbeitszeit, also Teilzeit für beide Eltern, was doch vernünftig klingt.

Brost: Der Vorschlag blendet völlig aus, dass die Unternehmen selbst sich auch ändern müssen, damit es wirklich eine bessere Politik für Familien gibt. Es reicht ja nicht, nur über die Überstundenzahlen zu reden. Und wir sagen ja, es sind Vereinbarkeitslügner unterwegs, nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft. Vereinbarkeitslügner, weil sie das Leben, die Realität und auch die Nöte der Familien ausblenden. Das Motiv der Wirtschaft, das hinter der Familienarbeitszeit steckt, ist eben ganz einfach, mehr Frauen in die Unternehmen zu holen. Die Wirtschaft ist aber nicht bereit, Geld in die Hand zu nehmen, um das Leben der Familien außerhalb der Betriebe zu erleichtern.

Was sind Ihre Vorschläge?

Brost: Wir haben eben nicht die eine Patentlösung für alles. Aber wir müssen über Betriebskindergärten reden, über finanzielle Unterstützung, damit Familien auch Haushaltsleistungen kaufen können. Da gibt es in anderen Ländern und auch in einigen Unternehmen ganz schöne Beispiele, aber das sind viel zu wenige angesichts des ökonomischen Drucks, dem sich Familien ausgesetzt sehen.

Wefing: Inzwischen sind die großen Unternehmen bereit, Väter in Elternzeit gehen zu lassen. Aber den nächsten notwendigen Schritt tun sie nicht: dass für die Zeit jemand eingestellt wird. Im Grunde wird erwartet, dass die übrigen Kollegen die Arbeit eines Vaters in Elternzeit erledigen.

Und das sorgt für Ärger.

Wefing: Das erhöht den Druck auf diejenigen, die gerade arbeiten. Die haben dann weniger Zeit für ihre Familien – was ziemlich absurd ist. Nein, wir müssen uns klarmachen: Die Flexibilisierung der Arbeitswelt ist anstrengend, und sie hat einen Preis. Es ist viel schwieriger, für jeden Arbeitnehmer ein individuelles Modell zuzuschneiden, als alle exakt das Gleiche machen zu lassen. Flexibilisierung kostet Geld, und zwar das Geld der Unternehmen, die aber nicht bereit sind, es in die Hand zu nehmen. Und solange sie das nicht tun, sind alle Bekenntnisse zu einer familienfreundlichen Wirtschaft Vereinbarkeitslügen.

Gleichzeitig gibt es doch eine große Zahl von Vätern, die das einfordern könnten. Über 80 Prozent der Väter würden gerne Teilzeit arbeiten, das machen aber nur sehr wenige. Fehlt da nicht einfach der Mut?

Brost: Die Frage ist, ob die Väter den Eindruck haben, dass das in ihrem Unternehmen wirklich gewünscht ist, ob sie den Eindruck haben, dass andere Väter das auch machen würden. Und das ist genau das Ziel des Buchs. Wir wollen den Vätern sagen: Hey, ihr seid nicht alleine, und wir glauben, dass man an den Rahmenbedingungen für Mütter und Väter etwas ändern kann. Wenn Väter und Mütter gemeinsam aufstehen und sagen, wir möchten, dass in den Unternehmen auch diejenigen Karrierechancen haben, die 80 Prozent arbeiten, wir möchten nicht, dass die Karriere vorbei ist, wenn ein Vater Elternzeit nimmt, wir möchten, dass sich die Rahmenbedingungen ändern – dann haben wir eine große Chance, etwas zu bewegen.

Sie sagen, dass Ihre Vorschläge Geld kosten, und das wird nicht leicht zu kriegen sein. Wie soll das gehen?

Wefing: Das Allererste ist, dass man einmal darüber reden muss. Marc Brost und mir wird ja immer wieder vorgeworfen, wir hätten kapituliert. Aber genau das haben wir nicht, im Gegenteil, wir wollen etwas ändern, den Wahn nicht mehr mitmachen. Aber Änderungen fangen in den Köpfen an. Der erste Schritt ist zu sagen: Da gibt es ein Problem. Im nächsten Schritt glauben wir, und daher kommt unser Optimismus: Wenn Männer und Frauen dieses Problem haben, Väter und Mütter, dann sind wir eigentlich relativ viele. Und dann können wir gemeinsam etwas durchsetzen, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik.

 

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