Viel Schall, viel Rauch

Wie der Vater, so der Sohn – oder eher nicht: Georges Simenons Jüngster hat ein Buch geschrieben, aber von der feinen Klinge seines Vaters hält er wenig. Hier gehts zur NZZ, unten das ganze noch einmal:

 

Viel Schall, viel Rauch

Ein in jeder Hinsicht neuer Simenon: Der Débutroman von Pierre, dem jüngsten Sohn des Altmeisters.

Vielleicht sollte man dieses Buch ja als Bildungsroman lesen: Immerhin ist sein Held, Antoine Demarsands, anfangs ein zwar brillanter, aber ziemlich unausstehlicher junger Mann. Der Sproß aus alteingesessener Schweizer Bankiersfamilie, ein aufsteigender Anwalt in L. A., hat ein überproportioniertes Ego, verbringt seine Tage und Nächte im Büro, trinkt zu viel zu teuren Alkohol, tyrannisiert seine Mitarbeiter, geht aus Lust am Nervenkitzel sinnlose Risiken ein und hat bis jetzt noch jede Beziehung in den Sand gesetzt.

Ein paar dutzend Seiten weiter hinten klettert Antoine dann in stockdunkler Nacht an der Fassade einer Schweizer Konkurrenzbank um sein Leben, während eiskalte Killer im Auftrag der CIA auf ihn feuern. Den einen oder anderen Showdown später kehrt unser Held schließlich gestählt und geläutert vom rauchenden Schlachtfeld zurück, auf dem sich die besiegten Feinde in ihren Eingeweiden wälzen. Er hat die Ehre seines Vaters gerettet, die Welt von allerlei Finsterlingen befreit und kriegt nun endlich die intelligente, schöne, humorvolle, mutige, gebildete, sinnliche Frau, die ihm schon seit den ersten Seiten vor der Nase herumtanzt.

Was ist dazwischen passiert? Ach, das übliche: Eine stilvoll im Weinkeller eingemauerte Schachtel mit Hinweisen auf düstere Familiengeheimnisse. Die Suche des Sohnes nach der Wahrheit über seinen Vater. Eine geheime Kommandoaktion im zusammenbrechenden Nazideutschland. Der blutbefleckte Goldschatz des Hermann Göring. Die verschwiegenen, habgierigen Schweizer Bankiers. Ein Mann mit verbranntem Gesicht. Ein widerwärtiger SS-Scherge aus Österreich. Zu Macht und Einfluss gekommene ehemalige Kriegsverbrecher, die kein Interesse am Lüften alter Geheimnisse haben. Involvierte Spitzenpolitiker, die CIA, Privatarmeen, Spezialeinheiten, Profikiller und was man sonst noch braucht, auf dass in einer etwaigen Verfilmung des Romans ordentlich die Post abgeht.

Schade nur, dass Pierre Simenon der dafür nötige Soundtrack offenbar mehr beschäftigt als die Glaubwürdigkeit der Handlung, ihm die Pyrotechnik ein größeres Anliegen ist als die Lesbarkeit der unfassbar hölzernen Dialoge, die Augenfarbe der Figuren wichtiger als die Tatsache, dass sie doch nur überzeichnete Karikaturen sind. Die Bösen sind mit allen Wassern gewaschene Erzganoven, während die Guten zum Übermenschentum neigen und sich, wenn es eben sein muss, blitzschnell von Normalbürgern zu austrainierten Geheimagenten mausern.

Vielleicht ist es im Action-Thriller-Genre ja auch schwer möglich, bestimmten Konventionen zu entkommen, und sicherlich ist es Pierre Simenon gelungen, den knappen Spielraum innerhalb der Genregrenzen zum Zusammenbauen eines leidlich spannenden, an Action nicht armen Thrillers vor der Kulisse des pittoresk zu Ende gehenden Zweiten Weltkriegs mit seinen stehenden Figuren zu nützen. Dennoch hat man den Eindruck, die meisten Szenen schon einmal irgendwo gelesen oder gesehen zu haben, etwa den Angriff einer hochgerüsteten Privatarmee aus ehemaligen Elitesoldaten auf ein zur modernen Festung ausgebautes Anwesen am Genfersee, oder die Reise der Heldin ins Herz der Finsternis, das sich wie alle Eigenheime von wirklich bedeutenden Bösewichten als geschmackvoll eingerichtetes, vor exquisiten Kunstwerken aus allen Nähten platzendes Schloss erweist.

„Ich ahne und fürchte, worauf Sie hinauswollen“, sagt Antoine im Lauf des Romans einmal „mit finsterer Miene“. So geht es einem beim Lesen auch. Genau: Das Ende des Romans ist so gehalten, dass eine Fortsetzung unvermeidlich erscheint.

 

Pierre Simenon: Im Namen des Blutes. Roman. Aus dem Französischen von K. Schatzhauser. Limes 2012. 480S. SFr 28,50

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