Hier gehts zum NZZ-Artikel – schon etwas älter, aber das Buch ist und bleibt lesenswert.
Emanuelle Bayamck-Tams Roman „Die Prinzessin von.“ – ein schillerndes Meisterwerk in mäßiger Übersetzung
Georg Renöckl ⋅ Zum ersten Rendez-vous erscheint Marie-Line dezent geschminkt, mit bis zum Hals geknöpfter Bluse, Satin-Täschchen und teurem Tweed-Rock. Armand, auf dessen Kontakt-Annonce sie geantwortet hat, begrüsst sie mit den Worten: «Du siehst aus wie eine Nutte.» Marie-Line verzeiht die Grobheit, schliesslich sitzt Armand gerade eine langjährige Haftstrafe ab, die bald enden wird. Ausserdem hat sie sich an die Irritation gewöhnt, die ihr Anblick auslösen kann: Marie-Line heisst sie nur bei den Besuchen im Gefängnis sowie nachts, wenn sie als Tänzerin und Sängerin im Pariser Szeneklub ihre Show abzieht. Sonst lebt sie als Daniel im Vorstadthäuschen bei Adoptiveltern, die nichts vom Doppelleben des vermeintlichen Sohnes und von seiner Transsexualität ahnen.
Dass die Lebenslüge nicht den ganzen Roman über halten wird, ahnt man als Leser natürlich, doch bietet «Die Prinzessin von.» wesentlich mehr als ein Beziehungs- und Familiendrama mit Federboa. So wie Marie-Line selbst im keuschen Tweed-Kostüm noch eine irritierende Laszivität ausstrahlt, ist ihr auch eine Sprache passgenau auf den androgynen Leib geschneidert, die Eleganz und Vulgarität, feines Gespür für Nuancen und grösstmögliche Derbheit mühelos in sich vereint. Von ihrem Monolog geht eine Faszination aus, die die Leser bereitwillig in die nächtliche Glitzerwelt des Szeneklubs «Arcadia» eintauchen lässt. Dort wird ihnen weder der Glanz der Bühne noch die Kotze im Hinterzimmer vorenthalten.
Marie-Line liebt das Leben im Licht der Scheinwerfer und die Raserei des Publikums, Exzesse kostet sie bis zur Neige aus, Nebenwirkungen inklusive. Präzise und detailreich lässt Emmanuelle Bayamack-Tam die transsexuelle Künstlerin von ihrem Leben und ihren Leidenschaften erzählen, ohne einen Augenblick ins Voyeuristische oder Pornografische zu kippen, was angesichts zahlloser Tabubrüche, sexueller Grenzerfahrungen und eimerweise Blut, Sperma und Erbrochenem nicht weniger als eine Meisterleistung ist. Die strikte Beschränkung auf die Perspektive Marie-Lines erlaubt es, auch tiefe seelische Abgründe der mit viel Empathie gezeichneten Haupt- und Nebenfiguren auszuleuchten, ohne sie je der Sensationslust des Publikums oder der Lächerlichkeit preiszugeben.
Scheinbar beiläufig reiht Bayamack-Tam erzählerische Kabinettstücke aneinander und wechselt dabei virtuos zwischen grotesker Komik, geradezu schmerzhaftem Realismus und poetischen, märchenhaften Tonlagen. Zurück zu ihren mythisierten Ursprüngen im polnisch-weissrussischen Grenzsumpf, der Heimat ihrer vergötterten Adoptivmutter, bricht Marie-Line am Ende des Romans auf. Da ist schon längst nicht mehr klar, wo die Realität endet und die Scheinwelt beginnt, in die sich die Ich-Erzählerin anfangs unmerklich mehr und mehr zurückgezogen hat und aus der sie schliesslich nicht mehr herausfinden wird.
Die Entscheidung des jungen Zürcher Secession-Verlags, den mittlerweile siebten Roman der öffentlichkeitsscheuen, 1966 geborenen Emmanuelle Bayamack-Tam auch deutschsprachigen Lesern zugänglich zu machen, ist natürlich zu begrüssen. Unverständlich ist jedoch das geringe Augenmerk, das der Qualität der Übersetzung geschenkt wurde. Eleganz wird darin mit Gestelztheit verwechselt: Reihungen von Genitivattributen, die im Französischen den Lesefluss nicht stören, verwandeln sich in wortwörtlicher Übertragung zu holprigen Satzgliedmonstern («die perfekte Illustration des Mangels ihrer Urteilsfähigkeit»), ein harmloses Relativpronomen wie «qui» wird zu einem affektierten «welchselbige», die gängige Frage «Tu veux rire?» zu einem umständlichen «Du beliebst zu scherzen?».
Auch die Angestrengtheit, mit der zusätzliche Vulgarität erzeugt werden soll, verzerrt den Text: Marie-Line muss vor den Besuchen im Gefängnis routinemässige Analuntersuchungen über sich ergehen lassen. Dass diese in der Originalfassung adjektivlosen «fouilles anales» im Deutschen plötzlich «verfickt» sein sollen, kann Missverständ nisse auslösen. Harmlose Mädchen, umgangssprachlich «nanas» genannt, werden zu «Vorstadtmuschis». Auch «amour» im Sinne körperlicher Liebe müsste nicht systematisch mit «Ficken» übersetzt werden, wenn ohnehin oft genug «baiser» im Originaltext steht .
Wesentlich schwerer als stilistische Unsicherheiten wiegen Probleme mit der französischen Idiomatik. Da wird im Gefängnis prompt der falsche Hintern zur Versteigerung angeboten, weil der Übersetzer aus einem männlichen Blondschopf («blondinet») eine weibliche Blondine macht, wird ein «mac» einfach zum «Macker», wo es eigentlich um «Zuhälter» ginge. Geradezu absurd wird die Lektüre, wenn von einem «schlecht zu Munde geführten» Assistenzarzt die Rede ist, der doch bloss grob unhöflich war – nichts anderes heisst «mal embouché».
Die Liste haarsträubender Fehler, die ganze Absätze in ein sinnfreies, dafür umständlich formuliertes Gebrabbel verwandeln, liesse sich beliebig lang fortsetzen. Dass Emmanuelle Bayamack-Tams Roman vom Leben, Lieben und Scheitern Marie-Lines trotzdem auch auf Deutsch die Lektüre lohnt, ist umso bemerkenswerter.