Neues aus der Thujenhölle

Bernhard Strobels Geschichten, besprochen für die NZZ:

 

Neues aus der Thujenhölle

Georg Renöckl 19.5.2015, 05:30 Uhr

Nirgendwo lassen sich die Folgen der Zersiedelung besser studieren als in Österreich. Wo die Raumplanung weitgehend den Bürgermeistern überlassen bleibt, wird Landstrich um Landstrich zubetoniert, wuchern ewiggleiche Einkaufsmalls, Fachmarktzentren und Einfamilienhaussiedlungen wie bösartige Parasiten rund um Wirtskörper, die sie längst abgetötet haben: verödete Ortszentren, in denen niemand mehr einkaufen oder wohnen will. Die für sensible Gemüter deprimierende Fahrt durch das österreichische Suburbia ist eine nie versiegende Inspirationsquelle für Filmemacher wie Ulrich Seidl oder auch Autoren wie Bernhard Strobel. Der 33-jährige Burgenländer hat nun mit «Ein dünner Faden» einen schlanken Band von neun Erzählungen veröffentlicht, deren Schauplätze Einfamilienhaussiedlungen irgendwo in einer nicht näher definierten Vorstadt sind.

Dicke Bücher hält Strobel für unsinnig, in seinen oft nur wenige Seiten kurzen Erzählungen zeigt er, warum: Es muss nicht alles des Langen und Breiten gesagt werden, wenn man doch mit wenigen, stets neu variierten Zutaten so viel andeuten, in der Schwebe halten und auf diese Weise eben doch erzählen kann.

In der Thujenhölle braten in Strobels Geschichten in erster Linie Paare, die ihre beste Zeit längst hinter, die Tilgung des Kredits fürs Eigenheim aber noch weit vor sich haben. Ein sorgfältig ausbalanciertes Gleichgewicht des Schreckens sorgt im Normalfall dafür, dass ihre Leben weitgehend störungs- und berührungslos nebeneinander herlaufen. Ins Bedrohliche kippt die Lage nur, wenn es Überraschungen gibt, etwa einer der beiden Beziehungsgegner früher als geplant nach Hause kommt oder ein Mensch aus dem Leben «davor» auftaucht, als Beweis, dass man aus dem ohnehin nicht goldenen Käfig auch ausbrechen könnte.

Getrimmte Hecken, gepflegte Gemüsegärten, blitzblanke Swimmingpools gehören zu den Standard-Requisiten in Strobels Baumarkt-Idyllen, deren Bewohner wie Statisten einer von anderen bis ins kleinste Detail inszenierten Welt wirken. Mit lustvoll boshafter Empathie zeigt der Erzähler, wie sich gerade dadurch im Bereich der Demütigungen und Drohgebärden ungeahnte Möglichkeiten auftun. Ein zutiefst beleidigter Ehemann fährt gut hörbar zu Hause vor, pisst «durch die Holzlatten in die Rosenhecke, ihre Rosenhecke», steigt dann wieder ins Auto und fährt ins Café, um seinen besoffenen Vater von dort mitzubringen. Ein seiner Familie Entfremdeter sieht «die einzige Lösung» für ein Problem, das zu artikulieren ihm nicht gelingt, in der Zerstörung des Gemüsegartens. «[D]ie Tomaten und Paprika, das Beet mit Kohlrabi, Karotten und Radieschen, die kleinen Reihen und Rabatten verwüstete er mit Fusstritten, der Rechen, der noch vom vorigen Herbst an der Brunnenmauer lehnte, diente ihm als Schlagstock gegen den Liguster, bis er sich mit den Zinken verfing und nicht mehr herauszuoperieren war.»

Ausser dem Gemüse kommt niemand zu Schaden, doch deutlich werden tiefe Risse in den Fassaden erkennbar, die aufrechtzuerhalten die gesamte Kraft der Figuren aufzehrt. Geborgenheit gibt es in Bernhard Strobels Vorstadt genauso wenig wie Vertrauen, spontane Glücksmomente werden als Bedrohung empfunden. Grosse Katastrophen bleiben aus, sind aber jederzeit möglich, so dass selbst Beschwichtigungsformeln etwas Unheimliches anhaftet: «Dann ist ja alles bestens», sagte sie. «Ja», sagte ich, «alles ist bestens.» Auf dem Papier endet damit eine Geschichte, im Kopf nimmt das Verhängnis seinen Lauf.

Bernhard Strobel: Ein dünner Faden. Erzählungen. Droschl-Verlag, Graz 2015. 152 S., Fr. 27.40.

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