Steak in Wien, ein aktueller Artikel aus dem Falter-Guide „Wien wie es isst“, hier bittesehr:
„Un bifteck“ sagt man in Frankreich zum Fleischhauer, wenn man es gern unkompliziert hat. Der verballhornte Anglizismus bedeutet im Klartext: Der Angesprochene möge bitte von einem großen Stück Rindfleisch seiner Wahl eine Scheibe heruntersäbeln, die sich zum Kurzbraten eignet, weitere Details sind überflüssig. Ein recht verlässlicher Test um herauszufinden, wie vertrauenswürdig eine Fleischerei ist.
Ähnlich ist es im französischen Bistro: „Steak-frites“ steht oft auf der Schiefertafel – welches konkrete Fleischstück dann neben den hoffentlich hausgemachten Pommes zu liegen kommt, weiß der Kellner eher nicht. Im Regelfall ist das schlichte Gericht mindestens passabel, wenn nicht viel besser. Vor einigen Jahren wurde es zum Entsetzen vieler Gourmets sogar zum beliebtesten Essen Frankreichs gewählt (aktuell ist aber Entenfilet dran, sollte das jemanden interessieren).
Ein Steak ist demnach ein nicht näher definiertes, scharf angebratenes Stück Rindfleisch, dessen Garungsgrad man sich aussuchen kann. Damit wäre eigentlich alles gesagt, nur: in Österreich war das vor kurzem noch ganz anders. Abgesehen von kulinarischer Phantasy- und Splatterprosa wie „Schlemmer“- oder „Tirolersteak“ war ein Steak im Wiener Wirtshaus seit eh und je ein Stück vom Lungenbraten, schön mager, innen zartrosa, außen zartgrau. Der Rest vom Rind wurde gesotten (Tafelspitz und co), gedünstet (Gulasch, Zwiebelrostbraten) oder, nona, paniert (Backfleisch). Und dann gab es noch das eine oder andere „amerikanische“ Steak-House, wo man aber nur reinging, wenn einem gerade nach Cowboystiefeln, Fransenlederjacke und Fuchsschwanz am Schlüsselbund zumute war.
Man kann das Phänomen auch „Marktlücke“ nennen, erstaunlich lange blieb sie ungenützt. Damit ist jetzt Schluss: Steak ist in Wien über Nacht zum Hype geworden, die Wiener Gastronomie plötzlich wild entschlossen, den jahrzehntealten Rückstand auf den Rest der Welt so schnell wie möglich aufzuholen. Neben den altbekannten Oasen in der Steakwüste wie dem puristischen Gergely’s, dem Jolly Ox mit seinen erratischen Öffnungszeiten und seiner verschworenen Fangemeinde oder dem elegant-kalifornischen Livingstone’s wuchert nun eine neue Art von Steaklokalen aus dem Boden der Siedefleisch-Metropole. Sie eifern dem US-Vorbild zwar mitunter allzu brav nach und importieren nicht nur das Fleisch, sondern auch Albernheiten wie die Bezeichnungen „Lady’s cut“ und „Gentleman’s cut“ für die Portionsgrößen aus den USA, Karohemd muss man aber dennoch keines anziehen.
Das spektakulärste Beispiel für die neue Wiener Steak-Kultur ist das Frank’s gleich beim Schwedenplatz. Das von außen wie ein Fitnessclub aussehende Lokal gibt es zwar schon länger, es hat sich vor einem Jahr aber einen „Reifeschauraum“ zugelegt. Dort wird den Gästen nun eindrucksvoll vor Augen geführt, was „dry ageing“ bedeutet: Etwa dreißig Rinderrücken hängen da bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt mindestens sechs Wochen lang herum, verlieren langsam an Gewicht und werden dank der Arbeit von Enzymen innen immer mürber, während sich außen eine trockene, harte, dunkle Schicht bildet. Für die Augen von jemandem, der Rindfleisch nur als leuchtendroten Würfel aus dem Supermarktregal kennt, ein zumindest gewöhnungsbedürftiger Anblick: Dass Lebensmittel auch ein Leben nach dem Tod ihres Lieferanten haben können, dass sich Form und Farbe verändert, dass Frische mitunter unerwünscht ist – das ist für viele ein Kulturschock. Wer ihn übersteht, wird mit einem vorzüglichen Steak belohnt, das kurz zuvor noch in eben dieser Vitrine baumelte.
Nicht ganz so wild geht man es im St. Ellas an, der relativ neuen Gaumenspiel-Dépendance mit Grill. Trockenreifung ist hier kein Thema, denn: „Unser Fleisch braucht das nicht.“ Es kommt aus den USA und aus Argentinien. Dort werden die Rinder anders gefüttert als hierzulande, sie liefern daher fetteres, zarteres Fleisch als ihre österreichischen Artgenossen. Im Grunde könne man fast jedes Stück dieser Tiere zum Kurzbraten verwenden, meint Eigentümer Rodschel Rachnaev. Wie zum Beweis steht auf der Karte neben den üblichen Verdächtigen wie Filet und co. auch tatsächlich „Flank Steak“, was natürlich schöner klingt als „Bauchlappen“. Mit seinen Fasern in Längsrichtung, der nötigen „blutigen“ Garstufe – medium ist eigentlich schon zu durch – und seinem intensiven Geschmack nach Rind ist dieses Stück derzeit das Bootcamp für die Gaumen angehender Wiener Steak-Aficionados.
Wer es überstanden hat, der geht am besten ein paar Häuserblocks weiter, ins Flatschers, das ein paar Monate früher eröffnet hat und nicht nur ein Flank Steak auf der Karte hat, sondern zwei: eins aus Australien und eins aus den USA. Enthusiastische und kompetente Kellner erklären die feinen Unterschiede, ausprobieren lohnt sich tatsächlich. Überhaupt ist Eigentümer Andreas Flatscher ein gewisser pädagogischer Impetus nicht abzusprechen: Jetzt soll sich das Wiener Publikum erst einmal ans Bauchlappen-Steak gewöhnen. Wenn das gut läuft, könnte es hier bald auch Onglet geben, den mindestens ebenso aromatischen Muskel aus dem Inneren des Rindes, an dem das Zwerchfell angewachsen ist.
Noch essen die Wiener aber nach wie vor am liebsten Filet, wenn sie ein Steak bestellen. Vielleicht auch, weil die Sache halt doch etwas kompliziert ist bzw. klingt: So kann ein Stück vom Rostbraten kann je nach Position, Dicke und Vorhandensein des Knochens entweder als Rib-Eye, Prime Rib, Rib Steak oder T-Bone auf der Karte stehen, Beiried heißt entweder Club Steak, Strip Steak oder Sirloin, und so ganz sattelfest ist man beim Umgang mit diesen Begriffen auch in den piffigen neuen Steaklokalen nicht immer: Erstaunlich hartnäckig hält sich die Legende, beim „Rib Eye“ handle es sich um ein ominöses Fettauge irgendwo im Steak – gemeint ist mit dem „Auge“ aber das beste Stück Muskelfleisch (longissimus dorsi) genau in der Mitte.
So richtig heimisch wird die neue Steak-Vielfalt in Wien wohl erst sein, wenn sie nicht nur auf den Speisekarten, sondern auch im Volksmund angekommen ist, und das könnte noch etwas dauern. Dass die Gäste im Eckbeisl jemals ein Striploin- oder Flanksteak bestellen werden, ist eher nicht zu erwarten. Vielleicht lohnt auch hier ein Blick nach Frankreich: Dort nennt man das Steak vom Bauchlappen seit eh und je „Bavette“, auf Wienerisch: „Trenzpatterl“.
Vielen Dank für den Artikel und deinen Einblick in die Wiener-Steak Kultur 😉
sehr gern, danke fürs feedback!