Böse, besoffen, aber gescheit

Für die NZZ dem Rausch des Schreibens erliegen: 

Böse, besoffen, aber gescheit

Das Literaturmuseum in Wien feiert den Rausch in der Literatur

Georg Renöckl

Das Schreiben wird an Österreichs Schulen zunehmend vom schöpferischen zum technischen Prozess: Die Absolventen sollen offenbar optimal auf eine Arbeits- und Studienwelt vorbereitet werden, in der nicht Individualität oder gar Kreativität, sondern Normerfüllung zählt. Zufall oder nicht: Genau rechtzeitig zur Deutsch-Matura an den österreichischen Gymnasien eröffnete im Wiener Literaturmuseum die Ausstellung «Im Rausch des Schreibens». Während die Maturanden möglichst leicht vergleichbare Text-Produkte nach penibel vorgegebenen Kriterien fabrizieren, feiert das Museum den Kontrollverlust und die persönliche Entgrenzung, die der Schreibprozess und seine Umstände eben auch bedeuten können.

Fünf Stationen loten im ehemaligen Hofkammerarchiv die verschiedenen Dimensionen des Schreibrausches zwischen Ekstase und Askese aus. Die Ausstellung durchleuchtet die Tabakwolken und Alkoholschwaden, die seit je so manchen Schreibtisch umwabern. Sie reiht nüchtern Textstellen aneinander, die sich um Exzess, Trance und Entrückung drehen.

Ekstase und Askese

Manuskripte und Gedichtentwürfe, Erinnerungsstücke wie Ernst Jandls Pfeifensammlung oder Adalbert Stifters Mosthumpen, schliesslich eine Fotogalerie der Dichter mit Pfeife oder Zigarette im Mundwinkel – nur Thomas Bernhard hält verschmitzt eine Tüte Eiscrème in die Kamera – vermitteln einen Eindruck der Bedeutung diverser Stimulanzien für den kreativen Prozess. Zu den Stars der Ausstellung zählen der legendäre Trinker Joseph Roth, der unter ein Porträt schrieb «Das bin ich wirklich; böse, besoffen, aber gescheit», die exzessive Raucherin Ingeborg Bachmann, die Zeitangaben mitunter durch die Anzahl gerauchter Zigaretten ersetzte, und Robert Musil, der von sich sagte: «Ich lebe, um zu rauchen.»

«Ganz Wien träumt vom Kokain», singt Falco im Hintergrund, und in einem finsteren Kämmerlein schwadronieren die «Präsidentinnen» des an einer Alkoholvergiftung verstorbenen Dramatikers Werner Schwab vor sich hin.

Wichtigstes Thema der Ausstellung ist aber der Rauschzustand, in dem keine Unzulänglichkeiten mehr das Schreiben hemmen: «Erst, wenn ich nicht mehr nachdenken muss, was ich schreiben soll, wenn alles wie von selbst aus der Hand aufs Papier fliesst, ist das richtige Stadium erreicht», formulierte Gert Jonke. Wie ein Kater fühlen sich hingegen die späteren Arbeitsschritte des Sichtens und Korrigierens an: «dann ists kein rausch / keine droge / fast arbeit» – so Elfriede Gerstl.

Grillparzers Erleuchtung

Wie bei allen anregenden Ausstellungen würde man sich da und dort mehr Material wünschen, etwa zur Wiener Gruppe, deren Autoren sich dem Thema zumal auf der Performance-Ebene mit viel Einsatz widmeten. Abhilfe ist nicht weit: Die geschickt in die denkmalgeschützten kaiserlich-königlichen Regale eingepasste Dauerausstellung des Literaturmuseums bietet die Möglichkeit, auf eigenen Wegen der Fragestellung nachzugehen oder sich einfach an der Fülle an Dokumenten zur österreichischen Literatur zu berauschen.

Wer dem Ausgang zustrebt, wird dort Grillparzers Spruch «Die Poesie ist die Aufhebung der Beschränkungen des Lebens» begegnen und nun ganz anders verstehen. Bleibt zu hoffen, dass auch der eine oder andere Maturand von solcher Einsicht erleuchtet worden ist.

«Im Rausch des Schreibens. Von Musil bis Bachmann». Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien. Bis 11. Februar 2018. – Katharina Manojlovic und Kerstin Putz (Hrsg.): Im Rausch des Schreibens. Von Musil bis Bachmann. Zsolnay, Wien 2017. 256 S., € 27.–.

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