Berg am Strome

Blick vom Neustadtl in Niederösterreich auf das Donautal und den Kollmitzberg

Reportage für „Die Presse“ vom 11. 11. 2021: https://www.diepresse.com/6037484/strudengau-berg-am-strome

Wer den Strudengau verstehen will, muss mit seinem Ende beginnen – sowohl geografisch als auch zeitlich: Als nämlich die Donau 1957 durch das Kraftwerk Ybbs-Persenbeug aufgestaut wurde, war endgültig Schluss mit den vielen Strudeln, von denen der gefährlichste Abschnitt des Stromes seinen Namen bekommen hatte. Der Rückstau hob den Wasserspiegel um etwa fünf Meter an und verleiht dem einst reißenden Gewässer seither die Optik eines Badesees. Bei einer Führung durch das älteste österreichische Donaukraftwerk kommen sowohl Technikbegeisterte als auch Vintagefreunde auf ihre Kosten: Hier wird nicht nur viel gut aufbereitetes Fachwissen über die Wasserkraft im Allgemeinen und die Donau im Besonderen geboten, auch der Enthusiasmus und der Chic der Wiederaufbaujahre sind auf Schritt und Tritt spürbar. Neben archivierten Fernseh- und Radiosendungen aus den beginnenden Wirtschaftswunderjahren sorgen dafür heute wieder schwer angesagte Tapeten und Möbelstücke sowie hoffnungslos veraltete Werbeplakate: „Bauknecht weiß, was Frauen wünschen“.

Lebensgefahr

Als die Moderne solcherart ins Donautal einzog, war es dort mit der alten Romantik längst vorbei: Nachdem einst sogar Maria Theresia im Strudengau beinahe gekentert wäre, begann man mit der systematischen Sprengung der  zahlreichen, meist von alten Burgen gekrönten Inseln und Felsen im Flussbett. Sie boten zwar einen wildromantischen Anblick, waren aber hauptverantwortlich für die gefährlichen Strömungen. Noch 1815 beschrieb Joseph von Eichendorff in seinem Roman Ahnung und Gegenwart fasziniert einen mächtigen Strudel als „Auge des Todes“, das „alles Leben in seinen unergründlichen Schlund hinabzieht“.

Eine leise Ahnung von der Lebensgefahr, die von der heute so gemächlich sich dahinstauenden Donau ausging, bekommt man am ehesten ein paar Kilometer flussaufwärts, knapp nach der oberösterreichischen Grenze. Ein hoch über dem Donautal bei Gloxwald thronender Fels namens Predigstuhl bietet eine schwindelerregende Aussicht über den Strom, der in diesem Abschnitt vor vielen Jahrtausenden den Weg des größten Widerstands gesucht und ein tiefes Tal in den Granit der böhmischen Masse geschnitten hat. Vier alte Donausagen, die von der mitunter tödlichen Heimtücke des Wassers erzählen, hat der Mostviertler Künstler Miguel Horn hier zu einer kühnen Metallskulptur namens „Felsenreiter“ vereinigt. „Ich will keine Kunstwerke schaffen, die nur von einem exquisiten Publikum in Galerien gesehen werden“, so der Bildhauer. „Auch der Enkel eines Steinbrechers aus Gloxwald soll ohne Zugangshürde Kunst genießen können.“ 

Während die Skulptur hoch über der Donau unter anderem von einem grauen Mönch erzählt, der den Kaiser gerade noch rechtzeitig aus einer in den Strom hinabstürzenden Burg rettete, inszenierte sich ein gefährlicher Irrer unmittelbar am Wasser als „weißer Mönch“: Ein gewisser Adolph Joseph Lanz, der neben einem Doktortitel auch ein Adelsprädikat usurpiert hatte, entwickelte im frühen zwanzigsten Jahrhundert als Adolph Lanz von Liebenfels auf Burg Werfenstein bei Sankt Nikola eine abstruse, als „Theozoologie“ oder „Ariosophie“ bezeichnete rassistische Weltanschauung, die er zur Grundlage des von ihm gegründeten Neutempler Ordens machte. Schon 1907 wehte über Werfenstein eine Hakenkreuz-Flagge. Zu den Zehntausenden Lesern der von Lanz herausgegebenen Zeitschrift „Ostara“ zählte auch Adolf Hitler.

Für tot gehalten

Auch traurig, aber immerhin mit einem Happy End versehen ist eine Geschichte, die sich nur ein paar Dutzend Meter stromaufwärts auf der letzten verbliebenen Donauinsel Wörth zugetragen hat: Hier wurde im 16. Jahrhundert das Schiff eines adeligen Tiroler Paares auf der Reise nach Wien in die Tiefe gerissen. Beide überlebten, hielten einander aber für tot. Die Frau kehrte als trauernde Witwe in die Heimat zurück, der Mann beschloss, fortan als Einsiedler auf der Insel zu bleiben und die Donauschiffer vor dem gefährlichen Strudel zu warnen, der seine Frau vermeintlich das Leben gekostet hatte. Erst nach zwölf Jahren hörte diese von dem Einsiedler, ging der Sache nach und fand ihren Mann wieder. Auf der Wörther Burgruine, die dem Grafen als Unterschlupf gedient hatte, ließ das glücklich wiedervereinte Paar ein weithin sichtbares Kreuz errichten. Dieses bildet heute noch den sprichwörtlichen Höhepunkt der geführten Exkursionen, in deren Rahmen man die unter Naturschutz stehende Insel vom niederösterreichischen Hößgang aus besichtigen kann.

Wieder ein kurzes Stück stromaufwärts liegt auf Mühlviertler Seite der Eingang zur Stillensteinklamm, die zu den schönsten, aber auch meistbegangenen Wanderungen des Mühlviertels zählt. Über einen neu errichteten Holzsteg wandert man vorbei an Wasserfällen und bizarr verwitterten Granitblöcken bis zur Steinernen Stube, bei der das Wasser einen unterirdischen Weg nimmt. 

Nichtschwimmer

Wer sich lieber genauer mit dem gefährlichen Leben der Schiffer auf der Donau auseinandersetzen möchte, fährt weiter nach Grein, das neben dem ältesten Bürgertheater des deutschen Sprachraums auch Österreichs einziges Schifffahrtsmuseum in Schloss Greinburg beherbergt. Hier kann man anhand zahlreicher Modelle sein Wissen über Zille, Plätte, Gams, Fallkraxe, Schupf, Fuhr und Nursch vertiefen. Makabres Detail am Rande: Die jungen Männer, die in Grein oder Ardagger auf die Schiffe gingen, um sie durch den gefährlichen Strudengau zu lotsen, durften nicht schwimmen können – nur so blieben sie mit Sicherheit an Bord und kämpften bis zum letzten Augenblick für das Wohl der ihnen anvertrauten Menschen und Waren.

Die gewaltige, zum Renaissanceschloss umgebaute Burg hoch über der Donau überrascht und bezaubert darüber hinaus mit einem der schönsten Arkadenhöfe nördlich der Alpen, einem Kristallgewölbe aus dem 15. Jahrhundert, dessen ungewöhnliche Form bis heute Rätsel aufgibt, sowie einer auch im Hochsommer herrlich kühlen Salla Terrena, deren Wände von einem durchgehenden Mosaik aus Donaukieseln geschmückt sind.

Wanderlustige, die dem Ansturm auf die Stillensteinklamm ausweichen wollen, finden im acht Kilometer nördlich von Grein gelegenen Bad Kreuzen eine lohnende Alternative, die sie auf die Spuren illustrer Namen führt: Im späten 19. Jahrhundert diente die pittoreske Wolfsschlucht mit ihren vielen kleinen Wasserfällen und natürlichen Becken als Kneippanlage, noch heute tragen einige davon Namen wie „Herrendusche“ oder „Wiener Vollbad“. Eine Gedenktafel erinnert an Anton Bruckner, der 1867 bei einem Kuraufenthalt vor dem Getöse einer böhmischen Blasmusikkapelle aus dem Wirtshaus floh und unter einem harmonisch rauschenden Wasserfall Schutz und Ruhe suchte. Man musste lange nach dem empfindsamen Musikanten Gottes suchen, ehe er aus seinem Versteck in der Felswand, in dem er festsaß, gerettet werden konnte.

Matrassteig

Ein Wandererlebnis unmittelbar an der Donau bietet der Matrassteig, der direkt am Parkplatz der Greiner Brücke auf der Mostviertler Seite seinen Anfang nimmt. Selten findet man Berg und Strom, laut Bundeshymne immerhin die beiden wesentlichen Elemente unseres Landes, so innig vereint wie hier. Der Steig stellt eine geradezu idealtypische Familienwanderung mit durchaus alpinem Charakter dar: ohne langen Anstieg über langweilige Forststraßen führt ein abwechslungs- und aussichtsreicher Weg zunächst steil, später flacher werdend vom Parkplatz den Hang hinauf. Er bietet einfache Felskraxeleien und Durchschlupfsteine und führt an spektakulären Aussichtspunkten über das Donautal vorbei. Und ehe jemand auf die Idee kommt, die gefürchtete Frage „Ist es noch weit?“ zu stellen, ist nach einer guten Stunde bereits die Brandstetterkogelhütte erreicht, die zwar nicht direkt am Gipfel liegt, aber mit ihrem berühmten lauwarmen Zwetschenkuchen zweifelsohne den Höhepunkt der Tour bildet.

Hexenstein

Den würdigen Abschluss für einen Tag voller Donausagen, Granitfelsen und Erinnerungen an tollkühne Männer auf ihren schwimmenden Kisten bietet der Kollmitzberg hoch über Ardagger, ein langgestreckter Zauberberg an der Donau. Von seiner alten kultischen Bedeutung zeugen heute noch eine tausendjährige Eibe und ein sogenannter „Hexenstein“, in den vor Jahrtausenden Trittstufen gemeißelt wurden, vor allem aber die der heiligen Ottilie geweihte Kirche auf dem Gipfel. Ihr Turm ist der letzte Rest eines römischen Kastells, das im frühen Mittelalter zur Wallburg ausgebaut wurde. Einst entfachte man hier oben weithin sichtbare Kreidfeuer, wenn Gefahr drohte. Das einzige, was heute noch droht, ist Suchtgefahr, und auch die hat ihre feurigen Seiten: Wer einmal auf der Aussichtsbank ein paar Schritte hinter der Kirche gesessen ist, wenn die untergehende Sonne den sich bis zum Horizont schlängelnden Strom flammend rot färbt, will entweder gar nicht mehr weg oder immer wieder hierher zurückkommen.

Infos:

Gloxwald: Bei Sarmingstein der Straße Richtung Waldhausen folgen. Bei der Kapelle rechts abbiegen, der Parkplatz vor dem Predigtstuhl ist markiert.

Insel Wörth: Besichtigung im Rahmen einer geführten Tour möglich. Anmeldung und Informationen im Gemeindeamt Neustadtl unter +43 7471/2240

Stillensteinklamm: Start entweder bei der Jausenstation Gießenbachmühle direkt an der B3 oder – länger, dafür lohnender – am Stadtplatz von Grein. Gehzeit etwa 2,5 bzw 4 Stunden.

Greinburg: 1. Mai – 26. Oktober, Di-So 9-17 Uhr. Führung nach Anmeldung. Tel.: Tel. +43 (0) 7268-7007-18

Brandstetterkogelhütte: Schaltberg 47, 3323 Neustadtl/Donau. Tel.: +43 7471/2265. Di Ruhetag

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.