Für die NZZ (hier) habe ich das folgende, sehr informative Buch über Muslime in Österreich besprochen:
Georg Renöckl ⋅ Als «Insel der Seligen» soll Papst Paul VI. Österreich einst bezeichnet haben. Ob ein islamischer Geistlicher heute zu einer ähnlichen Einschätzung käme? Immerhin ist der Islam seit hundert Jahren eine der offiziell anerkannten Religionen der Alpenrepublik, die beim Beschluss ihres «Islamgesetzes» freilich noch eine Donaumonarchie war. Sechs Prozent der Bevölkerung des Landes sind heute Muslime, im europäischen Vergleich eine überdurchschnittlich hohe Zahl.
Dass Österreich tatsächlich über günstige Voraussetzungen für eine Islamdebatte abseits der sattsam bekannten Polemiken verfügt, zeigt das Buch «Muslime in Österreich» von Susanne Heine, Rüdiger Lohlker und Richard Potz. Neben Statistiken, Daten und aktuellen Schlagwörtern bietet es übersichtlich gegliedertes historisches Hintergrundwissen, gibt einen Einblick in die Vielfalt an Glaubensrichtungen und Lebenswelten der österreichischen Muslime und nimmt in Kapiteln wie «Vom Jahreslauf zum Kopftuch» oder «Ehre und Schuld» Bezug auf heiss umstrittene Themen in der europaweit geführten Integrationsdebatte.
Gelegentlich auftretenden Schwierigkeiten, auf gesicherte Daten zurückzugreifen, begegnet das Autorentrio – eine evangelische Theologin, ein Orientalist und ein Jurist – bisweilen mit einer einfallsreichen Improvisation: So sind Dialoge abgedruckt, die scheiternde Versuche dokumentieren, in Wiener Migrantenvierteln eine Burka zu kaufen. Nach dem, was die FPÖ nicht müde zu behaupten wird, müsste das umstrittene Kleidungsstück eigentlich leichter zu finden sein.
Profunde Informationen bietet das Buch vor allem in theologischen Belangen und beantwortet damit indirekt die Frage, wer eigentlich an dem Dialog teilnehmen soll, für den es laut Untertitel eine Grundlage sein will: Gemeint ist ein interreligiöser Dialog; und so sind dem Verhältnis von Christentum und Islam zwei längere – und lesenswerte – Kapitel gewidmet, während für das Thema «Islam und Demokratie» gerade einmal eine Seite abfällt. Ein ausführlicheres Eingehen auf die Frage nach dem Platz der Religionen in zunehmend säkularisierten Gesellschaften wird der eine oder andere Leser vermissen.
Mit Blick auf die auch in österreichischen Medien zunehmend rauer geführte Debatte um den Islam in Europa schreiben die Autorin und die Autoren in ihrem Vorwort: «Probleme, die berghoch scheinen, schrumpfen [. . .], wenn man genau hinsieht, zur Grösse von Maulwurfshügeln.» Als wertvolle Sehhilfe in diesem Sinn und als solider Beitrag zur Versachlichung ist ihr Buch, das rechtzeitig zum Hundert-Jahr-Jubiläum des österreichischen Islamgesetzes erschienen ist, auf jeden Fall zu begrüssen.
Susanne Heine, Rüdiger Lohlker, Richard Potz: Muslime in Österreich. Geschichte, Lebenswelt, Religion. Grundlagen für den Dialog. Tyrolia-Verlag, Innsbruck/Wien 2012. 176 S., Fr. 38.40.