Rezension im Falter 40/2021: https://shop.falter.at/detail/9783709981634/tracht-macht-politik
Die Bilder des Kanzlers im Slimfit-Steirer sorgten für heftige Debatten: Die einen sahen in Kurz’ Mariazeller Auftritt eine (weitere) klerikal-faschistoide Inszenierung, die anderen fanden alles ganz normal und kramten Fotos von Ex-Kanzler Christian Kern in der Lederhose oder SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner im Dirndl aus dem Archiv. Umso schlimmer, wie man nach der Lektüre von Elsbeth Wallnöfers Buch „Tracht Macht Politik“ lernt.
Die Ethnologin und Philosophin liefert darin das nötige Werkzeug zur Analyse des anhaltenden Trachten-Booms in Politik und Alltag. Mit Lust an der pointierten Formulierung zeichnet Wallnöfer die Geschichte eines großen Mummenschanzes nach: Als Wiener Adelige und Großbürger einst voll Sehnsucht nach Unverfälschtheit auf Sommerfrische fuhren, hatten die Einheimischen die unbequemen Gewänder ihrer Vorfahren längst vergessen. Anhand von Genrebildern erfand man die „althergebrachten“ Trachten also einfach neu.
Besonders aufschlussreich ist Wallnöfers Beschreibung jener Bilder, die man damals eben nicht zur Vorlage nahm: Die realistischen Darstellungen der Landbevölkerung waren dafür schlicht zu bunt, zu uneinheitlich und zu ärmlich. Der aufkeimende Nationalismus machte aus der romantischen Schwärmerei eine Waffe. Fieberhaft suchte man nach Uraltem aller Art, um die frisch erfundenen nationalen Gemeinschaften historisch zu legitimieren. Die von Brauchtumsvereinen vereinheitlichten Trachten wurden als „politisches Instrumentarium antisemitischer Pangermanen“ eingesetzt.
Deren in den 1940er-Jahren erdachte Schnitte und Silhouetten dominieren heute noch den Trachten-Look. Dirndl & Co sind also nicht einfach traditionelle Kleidung, sondern Stoff gewordene Ideologie: „Als Medium einer politischen Proklamation nun ist Tracht, nach mehr als 80 Jahren, wieder zu dem geworden, was sie schon mal war: Symbol eines Ethnopopulismus und Zeichen von verallgemeinerndem deutschen Traditionsgut zum Zwecke der Ausgrenzung jener Staatsbürger und Einwohner, die nicht so sind.“
Georg Renöckl in Falter 40/2021 vom 08.10.2021 (S. 20)