Für den Standard rezensiert: Hartmut Rosas Resonanzpädagogik.
Schule durch die Rosa-Brille
REZENSION
Leuchtende Kinderaugen nicht nur am Ende, sondern auch zu Beginn des Schuljahrs und an möglichst vielen Unterrichtstagen dazwischen – wie soll das gelingen? Mit „Resonanzpädagogik“, ist Soziologe Hartmut Rosa überzeugt „Ich mache mir eine Sache so zu eigen, dass sie mich verwandelt. Ich bin danach ein anderer“, definiert Hartmut Rosa die „Anverwandlung“ von Wissen, einen zentralen Begriff seiner „Resonanzpädagogik“. Diese präsentiert er gemeinsam mit dem Lehrerfortbildner Wolfgang Endres in einem schmalen Band, den er seiner auch vom Umfang her beeindruckenden „Soziologie der Weltbeziehung“ zur Seite stellt. Der Anverwandlung steht als Gegenbegriff die bloße Aneignung von Wissen gegenüber, und auch weitere Kennzeichen der Resonanzpädagogik lassen sich durch Gegensatzpaare festmachen: Ihr geht es um Vertrauen statt Kontrolle, Eros statt Entfremdung, kurz: Resonanz statt Kompetenz.
Rosas und Endres‘ Buch richtet sich wohl in erster Linie an Lehrende, die hier eine kompakte Zusammenfassung der für sie relevanten Thesen aus Rosas 800-Seiten-Wälzer finden, doch auch Eltern werden es mit Gewinn lesen: Den eigenen Kindern wünschen schließlich die meisten, von Pädagoginnen und Pädagogen unterrichtet zu werden, die nicht nur für ihr Fach begeistert, sondern den Funken auch an ihre Schüler weiterzugeben in der Lage sind. Kein Kollateralglücksfall Rosa erfindet dabei das Rad nicht neu: Im besten Sinn „glühende“ Lehrerinnen und Lehrer hat es natürlich immer schon gegeben. Er betrachtet diese nun nicht als Kollateralglücksfall eines Schulsystems, in dem andere Dinge im Vordergrund stehen, sondern geht systematisch der Frage nach, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Resonanz im Klassenraum hergestellt werden kann. So finden Leser des in Dialogform gehaltenen Buches, dem anregende Gespräche vorangegangen sein dürften, anschauliche Modelle der Dynamik, die im Klassenzimmer herrscht, wenn Unterricht gelingt oder im Gegenteil völlig danebengeht, sowie ausführliche Überlegungen zu Themen wie Motivation, Feedback und dem Umgang mit Klassen im „Repulsionsmodus“. Wie ein Leitmotiv zieht sich das Knistern im Klassenraum, das auch für Außenstehende wahrnehmbar ist und gelingenden Unterricht erkennbar macht, durch das Buch.
Keine schöngeistige Plauderei
Freilich: Was Hartmut Rosa zum Thema Bildung zu sagen hat, liegt nicht gerade im Trend dessen, was derzeit landauf, landab unter dem Stichwort „Bildungsreform“ verstanden und eingefordert wird. Den Autoren geht es um Gänsehaut-Momente beim Lesen von Eichendorff-Gedichten oder begeistert gerötete Wangen beim Erarbeiten der antiken Geschichte – von Bildungsstandards, Pisa und zentral ausgegebenen Beurteilungsrastern ist nicht die Rede. Also eine schöngeistige Plauderei zweier eingefleischter Humanisten, die nichts von den Anforderungen unserer im globalen Wettbewerb stehenden Wissensgesellschaften wissen wollen? Mitnichten. Natürlich kann man aus Rosas Bildungsbegriff schließen, dass er sich seinen Humboldt und wohl auch seinen Fromm „anverwandelt“ hat. Das hindert ihn aber nicht daran, sich dem aktuellen Stand der Debatte zu stellen und scharf mit einer Pädagogik ins Gericht zu gehen, die „das Bildungsgeschehen als einen Abrichtungsprozess“ missversteht und Bildung im Sinn von Resonanz – „das prozesshafte In-Beziehung-Treten mit einer Sache“ – nicht fördert, sondern oft verhindert. Durch diese nach wie vor vorhandene „schwarze Seite der Pädagogik“ wird Schule für Rosa „zu einem düsteren, einem stummen Ort, der Entfremdungserfahrungen vermittelt und Entfremdungsbeziehungen erzeugt“. Auf die Verwüstungen, die der monotone Drill internationaler Testformate weltweit in Schülerseelen anrichtet, sei an dieser Stelle nur kurz hingewiesen.
Plädoyer für nichtverzweckte Schule
Rosas Versuch, Schule als Resonanzraum neu zu denken, ist hingegen alles andere als altmodisch. Es geht hier um das eigentliche Zukunftsthema der Bildungsdebatte – selbst unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten: Auch unter Human-Resources-Managern ist heute die Suche nach neugierig und kreativ gebliebenen Menschen, die in der Lage sind, sich für eine Sache zu „entzünden“, aktueller denn je. Für manchen Bildungsbürokraten und Wissensökonomen mag Rosas Plädoyer für eine nichtverzweckte Schule, in der es nicht um die vermeintliche Steigerung der gesellschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit geht, sondern um das Ziel, die Neugier von Kindern und Jugendlichen auf die Welt anzufachen und am Brennen zu halten, eine etwas irritierende Lektüre sein. Dass möglichst viele Lehrer sie als Anregung verstehen und bereits beim Lesen leuchtende Augen bekommen, kann man den von ihnen unterrichteten Kindern und Jugendlichen hingegen nur wünschen. (Georg Renöckl, 3.9.2016) –