Mein Porträt der Pariser Bürgermeisterin für Biorama:
Make Paris Green Again
Die energische Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo ist »Grüne Diplomatin des Jahres«. Durch sie bekommt die Stadt des Lichts wieder mehr Lebensqualität.
Soviel zur Karikatur. Die Realität sieht freilich anders aus: Paris ist das Zentrum einer dichtbesiedelten Region von zwölf Millionen Einwohnern, die zu den bedeutendsten Wissenschaftszentren und – bei allen bekannten sozialen und urbanistischen Problemen – zu den reichsten und wirtschaftlich dynamischsten Regionen Europas zählt.
Stadtpolitik ist Weltpolitik
Auch auf der weltpolitischen Bühne nimmt die Stadt einen bedeutenden Platz ein, und das nicht »nur« als Hauptstadt Frankreichs: Die Pariser Bürgermeisterin wurde als erste Frau zur Präsidentin des Städtebundes »C40 Cities Climate Leadership Group« gewählt. Vom renommierten amerikanischen Magazin Foreign Policy wurde sie für ihr globales umweltpolitisches Engagement nun mit dem »Green Diplomat of the Year«-Award ausgezeichnet.
Wenn Anne Hidalgo Anfang Dezember in Mexiko das nächste Treffen der einflussreichsten Bürgermeister der Welt leiten wird – an dem auch die Stadtoberhäupter kleinerer deutscher oder Schweizer »Innovator Cities« wie Basel oder Heidelberg, aber keine aus Österreich teilnehmen –, dann mit klaren Zielen. Städte sind für 70 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich, bis 2050 werden zwei Drittel der Menschheit in Städten leben, schreibt sie in ihrem Statement. Wenn Klimaschutz wirksam sein soll, müssen die Städte vorangehen und voneinander lernen, Hidalgo zitiert das Beispiel der größten E-Bus-Flotte der Welt, die in China im Entstehen ist.
Mehr Radfahren, mehr Flanieren
Als Pariser Bürgermeisterin hat Hidalgo längst bewiesen, dass sie es nicht auf Ankündigungen beruhen lässt. Seit sie das Amt im April 2014 – ein weiteres Mal als erste Frau – übernahm, lenkt sie die Stadt konsequent in die ökologische Richtung. Sie führt die Leuchtturm-Projekte ihres Vorgängers Bertrand Delanoë weiter, wie den Ausbau des dichtesten Leihradsystems der Welt, das in Abständen von maximal 300 Metern an die 30.000 Räder zur Verfügung stellt, geht dabei aber einen Schritt weiter: Das ehrgeizige Ziel der Bürgermeisterin lautet, Paris bis 2020 zur Welthauptstadt des Fahrrades zu machen. Und auch wenn Amsterdam und Kopenhagen schwer einzuholen sein dürften: Ein Budget von immerhin 150 Millionen Euro steht dafür zur Verfügung, 700 Kilometer Radwege werden neu errichtet.
Derzeit unterzieht Hidalgo zudem die sieben bedeutendsten Plätze der Hauptstadt einem Umbau, der mehr ist als bloßes Facelifting: 50 Prozent mehr Platz für Fußgänger lautet die Grundregel, dazu kommen Begrünung und Radwege. 2017 wird ein Elektro-Bootstaxi-System auf der Seine eingeweiht und auch mit der Umsetzung eines der umstrittensten Vorhaben Hidalgos begonnen, das die Bürgermeisterin gegen erbitterten Widerstand der Konservativen und der Autolobby durchgeboxt hat: Nach dem Vorbild des linken Seine-Ufers werden über drei Kilometer Schnellstraße am rechten Ufer, über die heute noch täglich 43.000 Autos donnern, in eine Flanier-, Sport- und Fahrradmeile verwandelt.
Migrantin, Sozialistin
Bei all diesen Projekten beweist Anne Hidalgo, die einst von der Rechten als »Hausmeisterin« des schillernden Bertrand Delanoë verspottet wurde, beeindruckendes Steh- und Durchsetzungsvermögen. Es kommt nicht von ungefähr: »Ich habe mein Leben lang doppelt so viel arbeiten müssen, weil ich eine Frau und eine Einwandererin bin«, erklärt die 1959 bei Cádiz geborene Tochter eines andalusischen Arbeiterpaares, das wegen seines politischen Engagements vor dem Franco-Regime fliehen musste. Ana wuchs in Lyon auf, mit zwölf Jahren wurde sie französische Staatsbürgerin. Sie studierte Sozialwissenschaften und Sozialrecht, als junge Arbeitsinspektorin ging sie nach Paris. 1994 trat sie in die sozialistische Partei ein und arbeitete in drei Ministerkabinetten, ehe sie von Bertrand Delanoë, dem ersten linken Pariser Bürgermeister seit 1871, in die Stadtregierung geholt wurde. »Sie ist sanft, warmherzig, verführerisch und gleichzeitig hartnäckig und wild entschlossen«, beschrieb Delanoë seine engste Vertraute.
Mit Nicolas Sarkozy, der bereits als Innenminister verkünden ließ, er denke jeden Morgen beim Rasieren an seine künftige Präsidentschaft, teilt sie nicht nur die migrantische Herkunft, sondern auch den Ehrgeiz: 2012 schlug Anne Hidalgo einen Ministerposten aus, da sie längst den Entschluss gefasst hatte, Pariser Bürgermeisterin zu werden. Le Monde vertraute sie mit einem kleinen Seitenhieb in Richtung Sarkozy an, sie habe täglich beim Schminken daran gedacht.
Grüne Diplomatin
Am 13. November 2015, als im Bataclan und in einigen Restaurants Islamisten dutzende Menschen ermordeten, erlebte Hidalgo ihre schwersten Stunden als Pariser Bürgermeisterin. Auf den Terror antwortete sie nach dem Gedenken an die Opfer mit einer Kampagne, die Hemingways berühmte Hommage an die Stadt zitierte: »Paris ist ein Fest« – und das lasse man sich nicht nehmen. Der Pariser Klimagipfel COP 21 ging ungestört über die Bühne. Im November 2016 fand unter Anne Hidalgos Vorsitz das Pariser »Cities for Life«-Treffen statt, an dem sich mehr als 100 Bürgermeister über Innovation und Inklusion austauschten. Wenig später flog Hidalgo nach Mexiko zum C40-Treffen, und auch in Paris stehen die nächsten Monate unter dem Zeichen der Innovation, unter anderem mit der Eröffnung des weltgrößten Start-up-Inkubators.
»Make X great again« lautet das Motto der gerade stattfindenden reaktionären Wende. Anne Hidalgo interpretiert sie als Gegenmodell zu nationalem Egoismus und formuliert sie folgendermaßen um: »Meine Stadt ist der Rolle treu geblieben, die sie im Lauf der Geschichte eingenommen hat. […] Paris war immer ein Ort der humanistischen Werte, Paris hat stets den Fortschritt vorangetrieben. Oder, wie Victor Hugo sagte: ‚Die Menschheit hat ein Anrecht auf Paris.’«