Hier für die NZZ besprochen: Olga Flors aktueller Roman. Wie immer: anspruchsvoll und lesenswert.
Jede Zeit hat ihre Helden. Eine Teenie-Bloggerin und ein Magermodel zum Beispiel, wie in Olga Flors neuem Roman «Ich in Gelb». Alice nennt sich in ihrem Blog «next girl», sie ist «das immer schon übernächste neueste Mädchen natürlich», eine Paradefigur der Jetztzeit: naseweis, frühreif, «permanent performativ». Sie durchschaut das Spiel, in dem sie Figur ist, freilich ohne daran etwas ändern zu können. «Stets in Echtzeit aus der Mitte des Geschehens» zu berichten und das ganze Dasein möglichst öffentlich zu gestalten, ist nun einmal eine «Bedingung des Soziallebens». Alice hat es zu Blogger-Prominenz gebracht und sich auch einige Klagen eingehandelt, weil sie einem Skandal in der Modeszene auf der Spur ist.
Bianca hat ihr Mathematikstudium aufgegeben, um als Model zu arbeiten. Ihr Körper wird stets auf neue, unvorhersehbare Weise von einem geheimnisvollen Parasiten deformiert, was ihren Marktwert ins Unermessliche steigert. Auch sie hat sich bewusst für ihre Rolle entschieden. Das Studium abzubrechen, war notwendig, um «in der Spur zu bleiben, ich wollte Erfolg». Dessen Preis: «Das Regelwerk wächst in dich hinein, und du ordnest dich allem unter, was so von dir verlangt wird: Entweder geht es gleich, oder es geht gar nicht.» Die selbstironische Kurzformel für diesen Lebensentwurf lautet: «Du bist sofort und auf der Stelle/ Das nächste wirklich Essenzielle!»
Die beiden verbindet ein komplexes Beziehungsgeflecht, in dessen Zentrum der undurchschaubare Mode-Zampano Josef und die um ihn herum scharwenzelnden Lakaien und Speichellecker stehen. Kulminationspunkt der Geschichte ist ein mit grossspuriger Rhetorik angekündigtes Modeevent im Wiener Naturhistorischen Museum, das sich den Wünschen seines neuen Hauptsponsors, eines chinesischen Telekommunikationskonzerns, beugen muss. Bianca und ihr Parasit spielen in dem spektakulär scheiternden Spektakel die Hauptrolle, Alice lässt sich als Undercover-Fotografin einschleusen.
Man findet nur langsam in Olga Flors mineralisch kühle, temporeiche Hochglanzwelt hinein: Alices Blog-Einträge sind in umgekehrter Reihenfolge angeordnet. Wer wissen will, was zuvor passierte, muss weiterblättern, analog zu einem «richtigen» Blog im Internet, bei dem stets die neuste Seite zuerst zu sehen ist. Den Roman einfach von hinten nach vorne zu lesen, um der Geschichte auf die Spur zu kommen, bringt allerdings wenig: Bianca kommentiert Alices Blog in gewohnter Leserichtung, also in umgekehrter Reihenfolge, und Alice reagiert wiederum auf diese Einträge, was der raffiniert aufgebauten Erzählung einen mehrfach gespiegelten, manchmal verwirrend kaleidoskopartigen Charakter verleiht.
Für ihre meist ungewöhnlich scharfsinnig, dann wieder albern pubertär bloggenden und postenden Heldinnen hat Olga Flor eine überzeugende Sprache gefunden. Doch bei allem Witz und aller funkelnden Boshaftigkeit der Autorin, die an der Gegenwart nicht viel verändern muss, um sie zur Satire werden zu lassen, und bei aller grafischen Schönheit der Quallen, Anemonen und Romanesco-Kohlköpfe, die in den Text montiert sind, ist «Ich in Gelb» keine heitere Lektüre. In ihrem in mehrfacher Hinsicht brillanten kurzen Roman führt Olga Flor eine bis ins Detail durchdesignte und ästhetisierte Welt vor, aber schön ist diese nicht. Die bloggende Alice bewegt sich zwischen glänzenden Spiegeln, doch dahinter wartet längst kein Phantasiereich mehr, sondern höchstens der eine oder andere unappetitliche Parasit.
Olga Flor: Ich in Gelb. Roman. Verlag Jung und Jung. Salzburg 2015. 216 S., Fr. 30.80.