Nicht abschrecken lassen: Dieses Sachbuch ist hart an der Schmerzgrenze entlang geschrieben, eine erschütternde Lektüre – aber unbedingt empfehlenswert. Am 26. Jänner auf „Kontext“ besprochen, kann man jetzt einen Monat lang nachhören!
Man soll Bücher bekanntlich nicht nach ihrem Cover beurteilen. Im Fall von Das Sklavenschiff. Eine Menschheitsgeschichte des in Pittsburgh lehrenden Historikers Marcus Rediker empfiehlt es sich aber, den Umschlag vor dem Hineinblättern zumindest ein wenig genauer zu betrachten. Ein Ausschnitt eines Kupferstichs ist dort abgebildet, der 1788 zu trauriger Berühmtheit gelangte: Es handelt sich um die schematische Abbildung des Laderaums der Brooks, eines Schiffes, das im transatlantischen Sklavenhandel eingesetzt wurde. Man sieht auf dem Bild mit nur einem Lendenschurz bekleidete, paarweise an Händen und Füßen zusammengebundene Menschen. Sie wurden so platzsparend wie möglich in den Laderaum geschlichtet, wie Gegenstände, zwischen denen so wenig Freiraum wie möglich gelassen werden soll. So erschütternd der Anblick des Bildes ist, so schwer erträglich ist auch die Lektüre des Buchs, dessen Autor sich auf einen wesentlichen, doch in der Regel erstaunlich wenig beachteten Aspekt des Sklavenhandels konzentriert: Die Schiffe, mit denen Millionen versklavte Menschen aus Afrika nach Amerika gebracht wurden. Empfehlenswert ist diese Lektüre freilich trotzdem, findet Georg Renöckl.
Die Darstellung des Laderaums ist schockierend, aber dennoch eine visuelle Untertreibung, schreibt Marcus Rediker. 40 Zentimeter breit, maximal 1,80 Meter lang und etwa 76 Zentimeter hoch war der pro Person vorgesehene Raum unter dem Deck der Brooks. Mit seinem im Original bereits 2007 erschienenen Werk Das Sklavenschiff legt der auf Geschichte „von unten“ spezialisierte Historiker eine auf jahrelanger Forschung beruhende Darstellung der Transportmaschinen vor, mit deren Hilfe bis ins frühe 19. Jahrhundert vierzehn Millionen versklavte Menschen über den Atlantik transportiert wurden. Fünf Millionen von ihnen starben im Zuge dieses Unterfangens. Die Gegner des Menschenhandels erkannten die Bedeutung der Schiffe bei diesem Massenmord und machten die Brooks im späten 18. Jahrhundert zum Kampagnensujet.
Die Brooks repräsentierte das Elend und die Ungeheuerlichkeit des Sklavenhandels vollständiger und anschaulicher als alles andere, was die Abolitionist*innen zutage fördern sollten. Das Ergebnis ihrer Kampagne war die weite Verbreitung eines visuellen Dokuments, das das Sklavenschiff als einen Ort der Gewalt, Grausamkeit, unmenschlicher Lebensbedingungen und schauderhaften Sterbens darstellte. Das Bild zeigte in grauenvollen, konkreten Einzelheiten, dass das Sklavenschiff selbst ein Ort der Barbarei war, ein riesiges, komplexes, technologisch ausgeklügeltes Folterinstrument.
In acht Kapiteln und anhand der Biographien von Seeleuten, Kaufmännern und Versklavten erläutert Marcus Rediker die Funktionsweise dieses Folterinstruments, das auf ihr herrschende Machtgefüge, das Leben der unterschiedlichen Menschengruppen an Bord, sowie seinen Einfluss auf die Gesellschaften zu beiden Seiten des Atlantiks.
Für die von afrikanischen Sklavenhändlern gekidnappten und an die Weißen verkauften Männer, Frauen und Kinder markierte das Schiff den Übergang von afrikanischer zu europäischer Kontrolle. Sie wurden ihrer Kleidung, ihrer Identität und aller sozialen Beziehungen beraubt und einem gnadenlosen Gewaltregime unterworfen. Ihre nackten, nummerierten Körper waren von nun an Handelswaren, die maximalen Profit erzielen sollten.
Der Erste Steuermann und der Bootsmann beaufsichtigten mit der neunschwänzigen Katze in der Hand das „Verstauen“ der Männer, der Zweite Steuermann und der Kanonier das der Frauen. Die Matrosen halfen dabei, die Versklavten eng zusammenzupacken, ihre Arme und Beine anzuordnen, und jedem einen festen Platz vorzuschreiben. Alle, die nicht schnell an ihren Platz kamen, wurden mit der neunschwänzigen Katze angetrieben. George Millar, der 1767 auf der Canterbury eine Fahrt nach Old Calabar machte, erinnerte sich: „Ich war derjenige, der sich um die männlichen Sklaven zu bekümmern hatte, und wenn sie verstaut waren, passte nicht die Spitze eines Stocks zwischen einen und den nächsten.“
Die zentrale Rolle in den vielen Dramen auf dem Sklavenschiff nahm der mit absoluter Macht über Leben und Tod ausgestattete Kapitän ein. Sein Recht, Besatzungsmitglieder wie Gefangene körperlich nach Gutdünken zu bestrafen, dabei zu verstümmeln oder auch zu töten, stammt aus den Gepflogenheiten der Seefahrt. Auf den Sklavenschiffen erfuhr die auf See traditionell herrschende Gewalt jedoch eine weitere Steigerung.
Der Liverpooler Schriftsteller Dicky Sam beschrieb die brutale Realität des Sklavenschiffes folgendermaßen: „Der Kapitän malträtiert die Männer, die Männer peinigen die Sklaven, die Herzen der Sklaven brechen vor Verzweiflung.“ In dieser Aussage steckte eine wichtige Wahrheit: Gewalt wurde nach unten weitergegeben, vom Kapitän und den Offizieren über die Matrosen an die Versklavten. Die Matrosen, die oft selbst geschlagen und misshandelt wurden, ließen ihre Misere an den noch elenderen und machtloseren Gefangenen aus, die ihrer Kontrolle und Aufsicht unterstanden.
Bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Akteuren, deren Berichte und Biographien Rediker in seinem Buch versammelt, wird klar, dass die auf den Sklavenschiffen herrschende Brutalität weniger individuelle als vielmehr systemische Ursachen hat. Selbst die sexuelle Ausbeutung der gefangenen Frauen hatte eine Funktion und diente als Lockmittel, um ausreichend Matrosen rekrutieren zu können. Hungerstreikende und Aufständische wurden mit exemplarischer Grausamkeit bestraft, da sie den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmung gefährdeten. Versklavte wurden im Fall von Epidemien ins Meer geworfen, da Versicherungen bei natürlichen Todesfällen den Verlust nicht ersetzten.
An der Spitze dieser Pyramide der Grausamkeit steht jemand, der gar nicht auf dem Schiff präsent ist: der Kaufmann in Bristol oder Liverpool, der das ganze Unternehmen finanziert.
Was die Dramen auf den Decks der Sklavenschiffe möglich machte – man könnte sogar sagen, strukturierte – waren das Kapital und die Macht von Menschen, die sich weit weg von diesen Schiffen befanden. Die auf den Sklavenschiffen stattfindenden Dramen, deren handelnde Personen Kapitäne, Seeleute und afrikanische Gefangene waren, waren Teil eines viel größeren Dramas: des Aufstiegs des Kapitalismus und seiner Ausbreitung rund um die Welt.
Bei all dem Horror an Bord der Sklavenschiffe zeigt Rediker diese schließlich auch als Orte, an denen Positives entstehen konnte und sogar musste. Die Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Regionen, die auf engstem Raum und unter furchtbaren Bedingungen zu überleben versuchten, entwickelten neue Formen der Kommunikation und neue Gemeinschaften.
Das bedeutet, dass auf jedem Schiff dem Prozess des culture stripping – der kulturellen Enteignung von oben – ein gegenläufiger Prozess der Schaffung von Kultur von unten gegenüberstand. Im Schatten des Todes schufen die Millionen Menschen, die auf Sklavenschiffen den Atlantik überquerten, neue Lebensweisen: eine neue Sprache, neue Ausdrucksmittel, einen neuen Widerstand und ein neues Gemeinschaftsgefühl. Hier lagen die maritimen Ursprünge von Kulturen, die gleichzeitig afroamerikanisch und panafrikanisch, kreativ und dadurch unzerstörbar waren.