Mein Porträt der derzeit spannendsten französischen noir-Autorin in der Wiener Zeitung:
Die dunkle Seite der Macht
- Dominique Manotti, die Grande Dame des französischen „Roman noir“, inszeniert die Übernahme des Konzerns Alstom durch General Electric als packenden Krimi.
Als sie sich etwas später für ihren Uni-Job in die Soziologie von Los Angeles einlas, empfahl ihr ein Buchhändler James Elroys „L. A. Confidential“. Die Lektüre sollte ihr Paulus-Erlebnis werden: Hingerissen von der Kraft des Textes beschloss sie, ihren Kampf mit literarischen Mitteln wieder aufzunehmen. „Ich habe zu erzählen begonnen, um nicht alles zu verlieren“, erklärt sie ihre Wiedergeburt als Noir-Autorin Dominique Manotti.
In ihrem 1995 erschienenen Debüt „Sombre Sentier“ (dt. Titel „Hartes Pflaster“) setzte die damals 50-Jährige dem Aufbegehren der illegal in der Pariser Textilbranche beschäftigten Türken ein literarisches Denkmal in Form eines lupenreinen Roman noir von einer Härte, Rasanz und Dichte, die ihresgleichen suchen.
Drei weitere Romane – „Zügellos“, „Abpfiff“ und „Roter Glamour“ – widmete sie den Mitterrand-Jahren, die darin als eine von Korruption, Drogen- und Waffenschmuggel geprägte Ära des zu schnell und zu leicht verdienten Geldes erscheinen. Politik, Justiz und Exekutive sind korrumpiert, der Kampf um Recht und Wahrheit ist ein Anrennen gegen Windmühlen. Happy End gibt es naturgemäß keines: Belastende Zeugen werden immer wieder gerade noch rechtzeitig aus dem Weg geräumt, Prozesse von höchster Stelle im letzten Moment verhindert, Ermittler kurz vor der endgültigen Lösung von ihren Fällen abgezogen. Wenn etwas im gut geschmierten Machtgefüge reibungslos funktioniert, dann ist es der blinde Gehorsam gegenüber den Ranghöheren.
Einfluss der Noir-Filme
Inmitten der illusions- und schonungslosen Düsternis der Romane Manottis blitzen neben Entladungen geballter, heftig-deftiger Sinnlichkeit gelegentlich auch utopische Momente auf, oder zumindest kurze, süße Augenblicke der Rache: Ein machtgeiler Präsidentschaftskandidat blamiert sich in noblen Hinterzimmern durch frühzeitige Ejakulationen, während seine Frau eine Affäre mit dem von ihm gedemütigten Kommissar beginnt. Einer jungen Araberin aus der Banlieuegelingt der Aufstieg innerhalb der Geheimdienst-Hierarchie („Einschlägig bekannt“, 2010).
Der vielfach erniedrigte Vertreter der Türken in Manottis Debüt geht letztendlich erhobenen Hauptes vom Platz, wie später auch die zunächst wegrationalisierten Arbeiter im Roman „Letzte Schicht“ (2006), der die Privatisierung der Thomson-Werke zum Thema hat. „Erzählen heißt Widerstand leisten“, lautet die Devise, die Manotti einem ihrer Romane voranstellt.
Der Stil dieses Erzählens ist von Manottis Leidenschaft für amerikanische Noir-Filme der 40er und 50er Jahre geformt, deren Dichte und Tempo sie faszinieren. Sie zu erreichen ist Knochenarbeit: Bevor sich die Autorin Manotti an den Schreibtisch setzt, recherchiert die Historikerin Thibault monatelang in Bibliotheken und Archiven.
Wie präzise zurechtgeschliffene, schwarz funkelnde Diamanten leuchten ihre Texte schließlich die dunkle Seite der Macht in Frankreich aus: Etwa die unter Nicolas Sarkozy durchgeführte Geheimdienstreform, durch die in Zeiten der wachsenden Terrorgefahr systematisch arabischsprachige Offiziere aus den Diensten entfernt wurden („Die ehrenwerte Gesellschaft“, 2011), das Ende der als „French connection“ berüchtigten Drogenmafia von Marseille („Schwarzes Gold“, 2015), oder die Kollaboration während der NS-Besatzung von Paris („Das schwarze Korps“, 2004).
Mit den Neoliberalen von heute hat Manotti wieder ihre Lieblingsgegner aus den achtziger Jahren vor sich. Als wären die Yuppies nie ausgestorben, stauen sich in Steuerparadiesen wie den Cayman Islands Maseratis, Ferraris und Rolls-Royce auf den wenigen befestigten Straßen. Protzige Villen am Meer werden nur wenige Tage im Jahr bewohnt, etwa wenn eine Gruppe Banker per Privatjet einfällt und sich bei Jetski, Segeltörns und Hochseeangeln vergnügt, Kokain und Prostituierte selbstverständlich stets inbegriffen.
Manotti läuft bei der Schilderung der Exzesse der machtbesessenen Wirtschaftselite zur Höchstform auf. Drogen und Sex sind seit jeher die Währung und der Treibstoff der Jet-Set-Welt. Gnadenlos schickt die Erzählerin die seelisch leergebrannten Manager zu den Transvestiten im Bois de Boulogne oder in verschwiegene Pariser Clubs, wo sie ihre Allmachts-Fantasien am lebenden Objekt durchexerzieren – wie Nicolas Barrot, ein karrieregeiler Hohlkopf, der dort die Lust entdeckt, „in einem Lebewesen abzuspritzen, das nichts Menschliches hat außer dem Geschlecht, dieses Gefühl grenzenloser Macht, weil der andere nur existiert durch diesen Moment und in diesem Moment, in dem er besessen, vernichtet wird“.
Ohnmacht der Polizei
Nora Ghozali, die Ermittlerin aus „Einschlägig bekannt“, ist im geheimdienstinternen Krieg auf der Verliererseite gelandet und muss jetzt Wirtschaftsfälle bearbeiten. Sie kommt dem vor grausamen Morden nicht zurückschreckenden Netzwerk der Orstam-Konkurrenten gefährlich nahe. Manottis altbewährter, mittlerweile pensionierter Ermittler Théo Daquin dämpft als graue Eminenz die Erwartungen der Polizistin an die Politik: Kein Politiker oder hoher Beamter stelle sich heute noch Konzerninteressen in den Weg, vielmehr „behalten sie die Karriereplanung fest im Auge, den möglichen Wechsel zu multinationalen Unternehmen und die persönlichen Gewinne, die sich daraus ziehen lassen. In ihrem Spiel kommen wir nicht vor, Sie so wenig wie ich, wir haben darin keinen Platz.“
Eine Devise Wilhelms von Oranien, die einer ihrer Mitarbeiter zitiert, hält die Truppe um Nora Ghozali vorerst dennoch aufrecht: „Es ist weder nötig zu hoffen, um etwas zu unternehmen, noch erfolgreich zu sein, um durchzuhalten.“ Der Satz enthält den Kern von Dominique Manottis Erzählen und ist das Maximum an Trost, das ihre Romane bieten. Immerhin.