Dominique Manotti: Die dunkle Seite der Macht

Mein Porträt der derzeit spannendsten französischen noir-Autorin in der Wiener Zeitung:

Die dunkle Seite der Macht

Von Georg Renöckl

  • Dominique Manotti, die Grande Dame des französischen „Roman noir“, inszeniert die Übernahme des Konzerns Alstom durch General Electric als packenden Krimi.
Widerstand mit literarischen Mitteln: Dominique Manotti.

Widerstand mit literarischen Mitteln: Dominique Manotti.© Thomas Dorn/laif/picturedesk.com

„Ich höre schon die Seufzer: Wirtschaft? Zu kompliziert für mich. Falsch. Die Wirtschaft ist ganz leicht zu verstehen. Sie funktioniert wie ein Computerspiel. Ich werde Ihnen das beweisen.“ So kündigt Dominique Manotti ihren neuen Roman „Kesseltreiben“ auf ihrer Homepage an.

Ein kurzer Videoclip in Form eines Ego-Shootersbeginnt: Ein Krieger mit einem riesigen Schwert läuft über ein Spielfeld namens „freier Markt“. Sein Ziel ist es, eine gegnerische Firma zu übernehmen. Er muss dafür nur ein paar Regeln beherzigen. Etwa rechtzeitig Leute rekrutieren, die genau wissen, wie die Gegenseite funktioniert. Zweitens: Hindernisse ohne jede Rücksicht aus dem Weg räumen. Drittens: Dann angreifen, wenn der Gegner gerade mit anderen Problemen beschäftigt ist, etwa einer allgemeinen Wirtschaftskrise. Viertens: Joker im richtigen Moment ausspielen. Ein von der amerikanischen Justiz ausgestellter Haftbefehl ist ein solcher. Wer alles richtig macht, bekommt am Ende das Unternehmen.

Im Jahr 2014 wurde der französische Energie-Konzern Alstom vom US-Giganten General Electric übernommen. Dominique Manotti schildert die Vorgeschichte der Übernahme in Form eines düsteren Roman noir: Da astronomische Summen auf dem Spiel stehen, gibt es keinerlei Hemmungen. Wer den Deal stört, wird eliminiert. Jeder ist erpressbar, alle Schläge sind erlaubt. Das französische Unternehmen, im Roman „Orstam“ genannt, hat mächtige Gegner: CIA, NSA, das US-Handelsministerium und die amerikanische Justiz arbeiten eng zusammen.
Ob da nicht die Fantasie mit der Autorin durchgegangen ist? „Die Stellen, die im Roman am unwahrscheinlichsten wirken mögen, sind authentische Fakten“, betont Manotti. Das Wort der Doyenne des französischen Roman noir hat Gewicht: Die kleine, charmante, zerbrechlich wirkende alte Dame mit dem verschmitzten Lächeln mag zwar aussehen wie ein personifiziertes Miss-Marple-Klischee, war jedoch unter ihrem „richtigen“ Namen Marie-Noëlle ThibaultUniversitätsdozentin für Wirtschaftsgeschichte.

Ein Trauma machte sie zur Autorin: Als François Mitterrand 1981 die Präsidentschaftswahlen für sich entschied, glaubte die engagierte Intellektuelle, die neben ihrer Lehrtätigkeit an der Uni Spitzenfunktionärin der Pariser CFDT-Gewerkschaft war, die Linke habe gewonnen. Als unter der neuen Regierung jedoch statt der Revolution die Epoche der Yuppies ausbrach, fiel Thibault in ein tiefes Loch. Angewidert schmiss sie ihre Tätigkeit bei der Gewerkschaft hin. „Es waren schwierige Jahre“, meint sie dazu heute lapidar.

Als sie sich etwas später für ihren Uni-Job in die Soziologie von Los Angeles einlas, empfahl ihr ein Buchhändler James Elroys „L. A. Confidential“. Die Lektüre sollte ihr Paulus-Erlebnis werden: Hingerissen von der Kraft des Textes beschloss sie, ihren Kampf mit literarischen Mitteln wieder aufzunehmen. „Ich habe zu erzählen begonnen, um nicht alles zu verlieren“, erklärt sie ihre Wiedergeburt als Noir-Autorin Dominique Manotti.

In ihrem 1995 erschienenen Debüt „Sombre Sentier“ (dt. Titel „Hartes Pflaster“) setzte die damals 50-Jährige dem Aufbegehren der illegal in der Pariser Textilbranche beschäftigten Türken ein literarisches Denkmal in Form eines lupenreinen Roman noir von einer Härte, Rasanz und Dichte, die ihresgleichen suchen.

Drei weitere Romane – „Zügellos“, „Abpfiff“ und „Roter Glamour“ – widmete sie den Mitterrand-Jahren, die darin als eine von Korruption, Drogen- und Waffenschmuggel geprägte Ära des zu schnell und zu leicht verdienten Geldes erscheinen. Politik, Justiz und Exekutive sind korrumpiert, der Kampf um Recht und Wahrheit ist ein Anrennen gegen Windmühlen. Happy End gibt es naturgemäß keines: Belastende Zeugen werden immer wieder gerade noch rechtzeitig aus dem Weg geräumt, Prozesse von höchster Stelle im letzten Moment verhindert, Ermittler kurz vor der endgültigen Lösung von ihren Fällen abgezogen. Wenn etwas im gut geschmierten Machtgefüge reibungslos funktioniert, dann ist es der blinde Gehorsam gegenüber den Ranghöheren.

Einfluss der Noir-Filme

Inmitten der illusions- und schonungslosen Düsternis der Romane Manottis blitzen neben Entladungen geballter, heftig-deftiger Sinnlichkeit gelegentlich auch utopische Momente auf, oder zumindest kurze, süße Augenblicke der Rache: Ein machtgeiler Präsidentschaftskandidat blamiert sich in noblen Hinterzimmern durch frühzeitige Ejakulationen, während seine Frau eine Affäre mit dem von ihm gedemütigten Kommissar beginnt. Einer jungen Araberin aus der Banlieuegelingt der Aufstieg innerhalb der Geheimdienst-Hierarchie („Einschlägig bekannt“, 2010).

Der vielfach erniedrigte Vertreter der Türken in Manottis Debüt geht letztendlich erhobenen Hauptes vom Platz, wie später auch die zunächst wegrationalisierten Arbeiter im Roman „Letzte Schicht“ (2006), der die Privatisierung der Thomson-Werke zum Thema hat. „Erzählen heißt Widerstand leisten“, lautet die Devise, die Manotti einem ihrer Romane voranstellt.

Der Stil dieses Erzählens ist von Manottis Leidenschaft für amerikanische Noir-Filme der 40er und 50er Jahre geformt, deren Dichte und Tempo sie faszinieren. Sie zu erreichen ist Knochenarbeit: Bevor sich die Autorin Manotti an den Schreibtisch setzt, recherchiert die Historikerin Thibault monatelang in Bibliotheken und Archiven.

Wie präzise zurechtgeschliffene, schwarz funkelnde Diamanten leuchten ihre Texte schließlich die dunkle Seite der Macht in Frankreich aus: Etwa die unter Nicolas Sarkozy durchgeführte Geheimdienstreform, durch die in Zeiten der wachsenden Terrorgefahr systematisch arabischsprachige Offiziere aus den Diensten entfernt wurden („Die ehrenwerte Gesellschaft“, 2011), das Ende der als „French connection“ berüchtigten Drogenmafia von Marseille („Schwarzes Gold“, 2015), oder die Kollaboration während der NS-Besatzung von Paris („Das schwarze Korps“, 2004).

Mit den Neoliberalen von heute hat Manotti wieder ihre Lieblingsgegner aus den achtziger Jahren vor sich. Als wären die Yuppies nie ausgestorben, stauen sich in Steuerparadiesen wie den Cayman Islands Maseratis, Ferraris und Rolls-Royce auf den wenigen befestigten Straßen. Protzige Villen am Meer werden nur wenige Tage im Jahr bewohnt, etwa wenn eine Gruppe Banker per Privatjet einfällt und sich bei Jetski, Segeltörns und Hochseeangeln vergnügt, Kokain und Prostituierte selbstverständlich stets inbegriffen.

Manotti läuft bei der Schilderung der Exzesse der machtbesessenen Wirtschaftselite zur Höchstform auf. Drogen und Sex sind seit jeher die Währung und der Treibstoff der Jet-Set-Welt. Gnadenlos schickt die Erzählerin die seelisch leergebrannten Manager zu den Transvestiten im Bois de Boulogne oder in verschwiegene Pariser Clubs, wo sie ihre Allmachts-Fantasien am lebenden Objekt durchexerzieren – wie Nicolas Barrot, ein karrieregeiler Hohlkopf, der dort die Lust entdeckt, „in einem Lebewesen abzuspritzen, das nichts Menschliches hat außer dem Geschlecht, dieses Gefühl grenzenloser Macht, weil der andere nur existiert durch diesen Moment und in diesem Moment, in dem er besessen, vernichtet wird“.

Ohnmacht der Polizei

Nora Ghozali, die Ermittlerin aus „Einschlägig bekannt“, ist im geheimdienstinternen Krieg auf der Verliererseite gelandet und muss jetzt Wirtschaftsfälle bearbeiten. Sie kommt dem vor grausamen Morden nicht zurückschreckenden Netzwerk der Orstam-Konkurrenten gefährlich nahe. Manottis altbewährter, mittlerweile pensionierter Ermittler Théo Daquin dämpft als graue Eminenz die Erwartungen der Polizistin an die Politik: Kein Politiker oder hoher Beamter stelle sich heute noch Konzerninteressen in den Weg, vielmehr „behalten sie die Karriereplanung fest im Auge, den möglichen Wechsel zu multinationalen Unternehmen und die persönlichen Gewinne, die sich daraus ziehen lassen. In ihrem Spiel kommen wir nicht vor, Sie so wenig wie ich, wir haben darin keinen Platz.“

Eine Devise Wilhelms von Oranien, die einer ihrer Mitarbeiter zitiert, hält die Truppe um Nora Ghozali vorerst dennoch aufrecht: „Es ist weder nötig zu hoffen, um etwas zu unternehmen, noch erfolgreich zu sein, um durchzuhalten.“ Der Satz enthält den Kern von Dominique Manottis Erzählen und ist das Maximum an Trost, das ihre Romane bieten. Immerhin.

 

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Kategorisiert in Theorie

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