Für die NZZ bei Franz Joseph:
12.7.2016, 14:00 Uhr
Selbst wer dem in Wien allgegenwärtigen Sisi-und-Franzl-Kitsch sonst grossräumig auszuweichen pflegt, sollte heuer eine Ausnahme machen: Den hundertsten Todestag des vorletzten österreichischen Kaisers im kommenden November nehmen Nationalbibliothek und Schloss Schönbrunn zum Anlass für sehenswerte Ausstellungen zu Politik und Leben des Monarchen.
«Der ewige Kaiser» nennt die Nationalbibliothek ihre Schau im barocken Prunksaal. Franz Joseph sei die am häufigsten abgebildete Person des 19. Jahrhunderts, ist dort zu erfahren. Tatsächlich scheinen moderne PR-Berater nicht viel Neues erfunden zu haben: Die ständige Anwesenheit von – nach dem jeweiligen Stand der Technik – Malern, Litho- oder Fotografen war der früh zum Herrscher bestimmte Erzherzog Franz von Kindesbeinen an gewohnt. Anschaulich dokumentiert eine Serie von je einem Bild pro Lebensjahr seine Entwicklung vom hübschen Knaben zum etwas ängstlich und angespannt blickenden jungen Mann, bis zum meist kalt und abweisend blickenden Kaiser mit bald wild wucherndem, bald gestutztem Backenbart, als der er sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat.
Die Auswahl aus den in der Nationalbibliothek aufbewahrten über zehntausend Fotos, Grafiken und Lebensdokumenten zeigt sowohl den Privatmenschen, der seiner verehrten Freundin gefühlsduselige Briefe schrieb, als auch den kaiserlich-königlichen Medienprofi. Sie führt dabei – womöglich nicht immer gewollt – die Effizienz der habsburgischen Öffentlichkeitsarbeit vor Augen: Man geht ausgesprochen respektvoll mit dem Monarchen um, seine persönliche Verantwortung etwa für den desaströsen Zustand seines Staates und dessen Untergang im Ersten Weltkrieg wird nur zart angedeutet.
Der Weg zum Wahlrecht
Kritischer und ausführlicher widmet man sich im Schloss Schönbrunn seinem langjährigen Bewohner. Herzstück der auf vier Orte aufgeteilten, vom Wiener Historiker Karl Vocelka kuratierten Ausstellung ist die Schau «Mensch und Herrscher», die im Besuchern sonst verschlossenen Schönbrunner Osttrakt untergebracht ist. Sie beginnt mit der lapidaren Feststellung, der Kaiser sei vor allem zu Beginn seiner Amtszeit «beim Volk wenig beliebt gewesen».
Warum das so war, wird beim Durchwandern der Vitrinen in den einstigen Sommerwohnungen Maria Theresias und den Zimmerfluchten des Kronprinzen rasch klar: Der von einem erzkonservativen Erzherzog erzogene junge Kaiser liess zunächst die Revolution mit grösster Brutalität niederwerfen. Danach versuchte er sich anachronistisch als neoabsolutistischer Herrscher zu installieren. Bis er durch militärische und aussenpolitische Misserfolge zur schrittweisen Annahme einer Verfassung und schliesslich zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts gezwungen wurde.
Die informative und anregende Ausstellung spannt den Bogen vom Gottesgnadentum bis zur Herausbildung der noch heute bestehenden Parteienlandschaft und beleuchtet wissenswerte Aspekte der Persönlichkeit des Kaisers. Auch hier bleibt manches offen: Die hochproblematischen Beziehungen Franz Josephs zu seinem Sohn Rudolf und zum in Sarajevo ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand, über dessen Tod sich der alte Kaiser geradezu erleichtert gezeigt haben soll, hätten eingehendere Betrachtungen verdient.
Ein Besuch in der Schönbrunner «Wagenburg» lohnt sich anschliessend nicht nur, um Exponate wie den Hofschlitten Maria Theresias zu bewundern oder vor der Gala-Maultiersänfte zu verharren, die dem Transport des österreichischen Erzherzogshutes diente. Im Rahmen des Franz-Joseph-Schwerpunkts ist auch der Fuhrpark des vor hundert Jahren Verstorbenen zu bewundern. Ausser dem barocken Prunkwagen, in dem der österreichische Kaiser zur Krönung mit der ungarischen Stephanskrone transportiert wurde, beeindruckt neben einer Sammlung sportlich-schlichter Modelle, die er persönlich bevorzugte, vor allem sein letztes Gefährt: die bombastisch düstere habsburgische Begräbniskutsche mit ihren drohend-trauernden schwarzen Doppeladlern auf dem Dach.
Die schönste Armee der Welt
Keinesfalls sollte man sich den Film entgehen lassen, der die Begräbnisfeierlichkeiten vom November 1916 und die aus heutiger Sicht exotische Pracht des kaiserlich-königlichen Militärs zeigt, das mit der Ringstrasse, ihren schweren Fassaden und ihrem längst verlorenen reich verzierten Strassenmobiliar den passenden Rahmen vorfand. «Da kann man sagen, was man will, das war die schönste Armee der Welt!», sagte schon Graf Bobby in einem populären Witz. «Und was haben’s g’macht mit dera Armee? In‘ Krieg haben sie’s g’schickt!»
«Sie», das war vor allem er: Franz Joseph. Mit seinem Leben zwischen «Fest und Alltag» setzt sich der etwas disparat wirkende Teil der Ausstellung im Hofmobiliendepot auseinander, in dem es sowohl um das verhinderte Attentat, das zum Bau der Votivkirche führte, als auch um die kaiserlichen Tischgepflogenheiten geht. Trotz manch prachtvoller Lakaien-Livree sticht das Fehlen vieler auf den Schautafeln beschriebener Gegenstände ins Auge – die kaiserliche Gummibadewanne zum Beispiel, die sich Franz Joseph in seinem badezimmerlosen Schloss morgens ins Schlafgemach bringen liess, hätte man doch gerne wenigstens als Nachbildung gesehen.
Dafür kann man das habsburgische Familiensilber auf einem reich gedeckten Tisch bewundern. Ach ja: Tafelspitz, Veltliner, Kaiserschmarrn – die kulinarische Seite des Franz-Joseph-Mythos überlässt man in Wien offenbar doch lieber dem Tourismus. Schade irgendwie.
Der ewige Kaiser. Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien. Bis 27. November 2016. Franz Joseph. Zum hundertsten Todestag des Kaisers 1830 bis 1916. Eine Ausstellung an vier Standorten. www.franzjoseph2016.at. Bis 27. November 2016.