Schiefe Bilder in Sepia

Valerie Fritschs Debütroman „Winters Garten“ finde ich nicht so geglückt wie viele Kollegen. Hier meine NZZ-Rezension: 

Schiefe Bilder in Sepia
  • von Georg Renöckl
  • 28.7.2015

Man fühlt sich beim Lesen dieses Buchs ein wenig wie in einem Laden für Vintage-Design: Auf den ersten Blick wirkt alles gediegen, schmiedeeisern und uralt. Sieht man genauer hin, ist man nicht mehr so sicher. Auch Valerie Fritschs schmaler Roman «Winters Garten», eine Liebes- und Endzeitgeschichte, ist zunächst einmal beeindruckend: Den Garten und das alte Haus, in dem Protagonist Anton Winter seine Kindheit verbringt, schildert die Erzählerin in adjektivreichen, wild und kunstvoll wuchernden Sätzen, die wirken, als kämen sie aus einer anderen Zeit. Doch man merkt früh, dass irgendetwas nicht passt. Und das liegt weder an gewollten Irritationen wie den in Formalin eingelegten Fehlgeburten der Grossmutter, die neben den Holundersaftflaschen in der Speisekammer aufbewahrt werden, noch am eines Tages bevorstehenden Weltuntergang, der die Menschen in Winters Umgebung in den kollektiven Selbstmord treiben wird.

Es fehlt schlicht an der Stimmigkeit. Zu viele Bilder sind ungenau: Kanarienvögel beispielsweise können herumhüpfen, aber nicht «stelzen». Ihre «auf den Karosserien kreischenden Krallen» kann man hübsch finden oder manieriert, auf jeden Fall aber sind die Vögel zu leicht, um ein solches Geräusch auf Autos hervorzurufen.

Und so geht es weiter: Vielleicht haben ja manche Katzen die «Augen schöner Frauen», doch können sie niemals auf die Strasse «treten», und schon gar nicht, nachdem sie mit den Schwänzen in durchhängende Stromleitungen geraten sind – da sind sie nämlich tot. Kaum zu glauben ist, dass man in einem während vieler Jahre völlig verwilderten Garten Zwiebeln, Rüben, Tomaten, Kohl und Endiviensalat in Hülle und Fülle ernten kann. Zahlreiche sprachliche Ungenauigkeiten und Beliebigkeiten prägen den Text: Österreichische «Marillen» passen schlecht neben norddeutsche «Apfelsinen», eine derbe «Fotze» nicht neben ein verschämtes «Geschlecht». Was sind «unansehlich und monstrophil» im Hafen liegende Generäle? Warum wird das Perfekt von «stehen» oder «sitzen» manchmal mit «haben» gebildet, dann wieder mit «sein»?

Wer den ganz hohen Ton wählt, muss eine sichere Stimme haben. Die 1989 in Graz geborene Valerie Fritsch stellt in ihrem Erstling zwar eine beeindruckende Imaginationsgabe und Fabulierlust unter Beweis, verdirbt ihre opulent-düstere Vision vom Weltuntergang aber durch zu viele Patzer.

Valerie Fritsch: Winters Garten. Roman. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2015. 154 S., Fr. 24.50.

 

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