Italianità durch die Kamera

Ein Beitrag für die Österreichische Gemeindezeitung 12/2021: https://www.staedtebund.gv.at/ePaper/oegz-2021-12/index.html

Der europaweite Trend geht zur Mediterranisierung der Innenstädte – per Videoüberwachung nach italienischem Vorbild.

„Weihnachtskorso“ hieß die erste temporäre Fußgängerzone am Wiener Graben. Sie wurde 1971 eingerichtet, also vor genau fünfzig Jahren. Dass Verkehrsberuhigung mehr Lebensqualität bedeutet und die lokale Wirtschaft stärkt, hat sich seitdem herumgesprochen. Verkehrspolitische Nachhutgefechte werden zwar da und dort noch mit erstaunlicher Verbissenheit geführt – man denke etwa an das Gezerre um die Mariahilfer Straße in Wien –, doch viele Städte sind in ihren Überlegungen längst einen Schritt weiter. Auch dort, wo die großflächige Einrichtung von Fußgänger- oder Begegnungszonen nicht möglich ist, will man Lärm, Stress und Abgase reduzieren. Weitgehende Zufahrtsbeschränkungen sollen den Kfz-Verkehr aus den Innenstädten verbannen und dort Raum für entspanntes Flanieren schaffen. Was theoretisch den meisten einleuchtet, ist praktisch jedoch oft schwer umsetzbar. Das zeigt nicht zuletzt das Scheitern einer solchen Regelung für die Wiener Innenstadt im Jahr 2020: Komplizierte Ausnahmeregelungen, rechtliche Unklarheiten und nicht zuletzt die Frage der Überwachung können zu kaum überwindbaren Hürden werden.

Physische Barrieren in Salzburg

Auf massive Hürden anderer Art setzt daher seit über einem Jahrzehnt die Stadt Salzburg: Versenkbare Poller verhindern dort seit 2010 unbefugte Zu- und Durchfahrten. Geplant hatte man im Jahr 2006 eigentlich die Überwachung der Altstadt per Video. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch aus mehreren Gründen. So gilt etwa in Deutschland nur eine Aufnahme von vorne als Beweis für einen Regelverstoß, während in den meisten anderen Ländern die Aufnahme des Fahrzeugs von hinten genügt. Auch die Verfolgung von Verkehrssündern war in den unterschiedlichen EU-Mitgliedsstaaten zum damaligen Zeitpunkt noch nicht grenzüberschreitend möglich. Man befürchtete, durch ein automatisiertes Scannen von Kennzeichen würden vor allem Inländer zur Kasse gebeten, während Touristen die Strafen folgenlos ignorieren könnten. In erster Linie scheiterte das Projekt jedoch an datenschutzrechtlichen Bedenken, da die Videoüberwachung durch Gemeinden eine Rechtsgrundlage in der StVO benötigen würde.. Auf Basis der aktuellen Rechtslage war und ist die Umsetzung des videobasierten Systems in Salzburg und allen anderen österreichischen Städten nicht möglich. Aus diesen Gründen erfolgte auch 2007 ein ablehnender Bescheid der damaligen Datenschutzkommission.

Der Pollerbeauftragte der Stadt Salzburg, Christian Morgner, hat sich mit dieser Entscheidung im Nachhinein angefreundet: „Videoüberwachung verhindert keine Zufahrt, der Poller schon“, lautet sein Argument. Trotz 3000 Ausnahmegenehmigungen für Innenstadtbewohner wurde der Kfz-Verkehr um etwa 35 Prozent verringert.

Südtiroler Erfolgsbilanz

Mit ganz anderen Zahlen kann Ivan Moroder aufwarten, der das Verkehrsamt der Südtiroler Landeshauptstadt Bozen leitet: Dort wurde der Verkehr in der historischen Innenstadt im Vergleich zum Jahr 2014 um 95 Prozent reduziert – mit Hilfe von Videokameras. Poller waren, da sie mit dem Stadtbildschutz unvereinbar und im Betrieb umständlich und teuer sind, keine Option.

Die auch in Bozen angewandte Form der Verkehrsüberwachung ist in ganz Italien üblich. Jede italienische Stadt hat die Möglichkeit, „Zonen mit eingeschränktem Verkehr“ („zone a traffico limitato“) einzuführen und deren Einhaltung automatisiert zu kontrollieren. Dabei werden die Nummerntafeln einfahrender Fahrzeuge von Kameras gescannt und mit einer Datenbank, in der die Berechtigungen gespeichert sind, abgeglichen. Falls keine Einfahrtsgenehmigung vorliegt, wird eine Geldstrafe von mindestens 80 Euro zugestellt. Probleme mit deren Eintreibung im Ausland gebe es dank mittlerweile implementierter entsprechender bilateraler Abkommen keine.

Doch die Einnahmen standen bei der Entscheidung für eine automatisierte Überwachung der Bozner Innenstadt ohnehin nicht im Vordergrund, betont der Verkehrsamtsdirektor. Wesentlich wichtiger sei der Sicherheitsaspekt gewesen. In den engen Gassen der mittelalterlichen Altstadt gebe es schlicht und einfach zu wenig Platz für ein gefahrloses Nebeneinander von Fußgängern und motorisiertem Verkehr. Dazu erwartete sich die Stadtregierung eine Aufwertung der Innenstadt. Man nahm sich Zeit für die Überzeugungsarbeit: Fünfunddreißig Sitzungen mit Interessensvertretern und Bewohnern wurden abgehalten, um sie auf die neue Situation vorzubereiten und Bedenken auszuräumen. Danach folgte eine zweimonatige Testphase, in der Mahnungen statt Strafen verschickt wurden. Das Resultat: „Die Zufriedenheit ist sehr hoch.“ Niemand könne sich heute vorstellen, die Maßnahmen wieder zurückzunehmen. Ganz im Gegenteil: Nach den sieben Jahren, in denen das System nun im Einsatz ist, wird es demnächst runderneuert – und nachgeschärft: „Wir streichen eine Reihe von Sondergenehmigungen. Lieferanten werden künftig mit Cargobikes in die Innenstadt fahren und nicht mehr mit dem Auto.“ Natürlich werde bei solchen Maßnahmen die Wirtschaft an Bord geholt – wenn sie nicht ohnehin schon längst den Kurs mitbestimmt: „Die Wirtschaft hat von Anfang an Druck in diese Richtung gemacht“, erklärt Moroder. Schließlich profitiere sie von der Aufwertung der Innenstadt ganz besonders. Die massive Reduktion des Kfz-Verkehrs ließ Handel, Cafés und Restaurants in Bozen aufblühen und die Einzelhändler außerhalb der verkehrsbeschränkten Zone fordern bereits deren Ausdehnung auf weitere Bereiche der Stadt.

Österreichs Städte für Umstellung

Ähnliches erwartet sich Städtebund-Generalsekretär Thomas Weninger für Österreich, sollte der Gesetzgeber die automatisierte Kontrolle verkehrsberuhigter Zonen auch hierzulande ermöglichen. Für Weninger handelt es sich dabei schlicht um den heutigen state of the art der Verkehrsberuhigung. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit, Fußgängern und Radfahrern mehr Platz zur Verfügung zu stellen, sei bei Anrainern und Wirtschaftstreibenden in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. So unterstützt auch die Wiener Wirtschaftskammer, die Konzepten wie der Begegnungszone vor wenigen Jahren noch ablehnend gegenüberstand, mittlerweile die fußgängerfreundlichere Stadtgestaltung. Grund für den Sinneswandel sind volkswirtschaftliche Analysen, die den Nutzen der Maßnahmen nachdrücklich bestätigen. WKW-Standortanwalt Alexander Biach schlägt nun sogar eine jährliche „Grätzelmillion“ zur Umgestaltung des Straßenraums und Belebung der Erdgeschoßzonen vor. Die Zukunft der Innenstädte sei ihre Mediterranisierung.

Ein Schritt in diese Richtung ist für viele österreichische Städte von Feldkirch bis Wien die Verkehrsüberwachung nach italienischem Vorbild, wie eine Umfrage des Österreichischen Städtebunds im Juni 2021 ergeben hat. Auch die Bereitschaft, an einem Pilotversuch teilzunehmen, ist hoch.

Leonore Gewessler ist nach Alois Stöger und Norbert Hofer bereits die dritte zuständige Ministerin, an die der Städtebund einen konkreten Vorschlag für eine entsprechende Änderung der StVO übermittelt hat. Thomas Weninger zeigt sich angesichts des konstruktiven Gesprächsklima optimistisch.

Europatrend zur automatisierten Kontrolle

Mittlerweile geht der Trend in ganz Europa in Richtung videoüberwachter Zufahrtsbeschränkungen – wenngleich die Gründe dafür sich bei näherer Betrachtung unterscheiden. Den österreichischen Städten geht es in erster Linie um eine Erhöhung der Verkehrssicherheit. Leider gibt es derzeit noch viel zu viele Unfälle mit Personenschaden in Bereichen, die eigentlich vom KFZ-Verkehr ausgenommen sind. Es wird davon ausgegangen, dass eine entsprechende automatisierte Überwachung eine prohibitive Wirkung entfalten und zur Steigerung der Verkehrssicherheit beitragen könnte.

Die Gründe aktueller Umsetzungen von automatisiertem Zonen- Zufahrtsmanagement liegen aktuell vor allem im Umweltbereich:2020 haben belgische und niederländische Städte wie Gent, Antwerpen, Brüssel, Utrecht, Amsterdam und Den Haag videoüberwachte Umweltzonen eingeführt. Anfang 2021 hat auch die deutsche Bundesregierung einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der das automatisierte Scannen von Kennzeichen im öffentlichen Raum ermöglicht. In einem weiteren Schritt kann dies der besseren Überwachung von Umweltzonen dienen. Auch Frankreich rüstet nach: Die dortigen „emissionsarmen Zonen“ bekommen noch im Lauf des Jahres 2021 Video-Überwachungssysteme, den Anfang macht Paris. Der Rundblick bestätigt Thomas Weningers Befund: „Die Städte benötigen Instrumente wie das automatisierte Zonen- Zufahrtsmanagement, um aus der autogerechten Stadt unserer Eltern die menschengerechte Stadt unserer Kinder und Kindeskinder zu machen.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.